Die Söhne der Wölfin
wie du ihr immer hinterherläufst.«
Das löste eine kleine Rauferei aus, die Remus wie üblich gewann; was Romulus mehr ärgerte, als schon wieder seinem Bruder zu unterliegen, war die Einsicht, daß Remus sich noch nicht einmal irrte. Er lief ihr hinterher. Er erledigte seine Pflichten so schnell wie möglich, um ihr zur Hand zu gehen und sich etwas mehr beibringen zu lassen, ob nun neue, fremde Wörter, das Deuten von Vogelschwärmen, die Art, wie man Blitze zu beerdigen hatte, oder die Kunst, sie schon in sich zu fühlen, ehe man sie sah. Er hörte sich ihre Bemerkungen über das Lenken von Menschen an und erfaßte mehr und mehr, worauf sie hinauswollte; es war wie damals, als der Vater ihn und Remus in den Fluß geworfen hatte, um sie das Schwimmen zu lehren. Anfangs schlug das Wasser über einem zusammen, und man tat alles, um nicht unterzugehen, aber dann gab es auf einmal Bewegungen, um im Wasser dorthin zu gelangen, wohin man wollte.
»I-li-an«, sagte er, als er mit seiner Mutter durch das Dorf ging, um wieder ein paar Wasserkrüge zu füllen, was nach den Tagen, an denen ihnen ein Fremder mit dem steten Drang, seine Kehle zu befeuchten, alles weggetrunken hatte, bitter nötig war. Gelegentlich begegneten sie anderen Frauen, die sie geflissentlich übersahen und die Köpfe zusammensteckten, um zu tuscheln. »Ist das dein Tusci-Name?«
»Ja.«
»Ich mag ihn nicht«, verkündete er und warf ihr einen raschen Blick zu. Es war so selten, daß es ihm gelang, ihr ein Zusammenzucken oder eine heftige Bewegung zu entlocken. Auch jetzt blieb sie ruhig, also setzte er noch eine Beleidigung nach. »Diesen Ulsna mag ich auch nicht.«
»Das wundert mich nicht«, erwiderte sie mit der üblichen undurchdringlichen Kühle, die sie ihm gegenüber an den Tag legte, »da er mein Freund ist und du mich haßt.«
Er haßte sie noch mehr, als sie das Wort Freund aussprach. Sie hatte kein Recht auf Freunde, und ganz bestimmt nicht auf solche, die hier auftauchten, deutlich werden ließen, daß sie ihre Geheimnisse teilten, und den Vater unglücklich machten. Sie sollte froh und dankbar sein, daß der Vater sie überhaupt wieder aufgenommen hatte.
»Habe ich auch einen Tusci-Namen?«
»Nein. Willst du einen?«
»Nein«, antwortete er rasch und war erleichtert, als sie nicht weiter darauf einging, sondern statt dessen bemerkte, die Macht von Namen dürfe nicht unterschätzt werden.
»Die Ägypter glauben, daß der geschriebene Name eines von den Elementen ist, die ihnen die Unsterblichkeit sichern. Das andere ist die Einbalsamierung ihres Leichnams auf die vorgeschriebene Art und ein sehr langer Begräbnisritus. Aber der Name ist noch wichtiger. Solange Name und Taten eines Menschen irgendwo verzeichnet sind, heißt es bei ihnen, so lange können die Götter ihn finden. Es gibt Schreiber, die reich beschenkt werden, damit sie Schriftrollen mit den Taten der Menschen füllen und deren Namen ständig wiederholen.«
Er dachte darüber nach. Es hatte ihm Freude bereitet, ihre Buchstaben zu lernen, vor allem, weil er es schneller begriff als Remus, doch er hatte bisher kaum Verwendungsmöglichkeiten dafür gesehen.
»Warum schreiben sie nicht ihre eigenen Namen? Dann würden sie sicher sein, daß ihre Götter sie fänden.«
»Weil das Schreiben dort eine seltene Kunst ist, die nur wenige beherrschen. Es ist schwerer als die griechische Schrift, die wir verwenden. Ich habe lange gebraucht, bis ich sie gemeistert hatte, und ich mußte dafür zwei Jahre als Sklavin dienen.«
Die Vorstellung, daß es verschiedene Arten von Schrift gab, so wie verschiedene Sprachen, ließ die Welt noch verwirrender aussehen. Es erhöhte seine Bewunderung für sie, daß sie das alles wußte, und gleichzeitig steigerte es seinen Groll.
»Aber was nützt mir das alles?« fragte er plötzlich. »Du hast gesagt, du bringst mir Dinge bei, mit denen ich meine Feinde besiegen kann!«
Da sie inzwischen fast an der Uferstelle angelangt waren, wo die meisten Frauen ihr Wasser holten, senkte sie ihre Stimme, als sie entgegnete:
»Ich habe einen meiner Feinde mit diesem Wissen besiegt.«
»Wie?«
Sie schaute vielsagend zu den anderen Frauen, die ihren Gruß nicht erwiderten, jedoch in Hörweite blieben.
»Wie?« wiederholte Romulus in der Tusci-Sprache und ärgerte sich, nicht gleich darauf gekommen zu sein. Das war eine ihrer durchsichtigsten Listen. Wenn die Frauen nicht hier gewesen wären, hätte sie einen anderen Grund dafür gefunden, warum er in
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