Die Söhne der Wölfin
die feuchte Schwüle des Deltas, in der Sätze wie die Luftblasen von Nilpferden oder Krokodilen an die Oberfläche drangen und plötzlich zerstoben, der heiße, trockene Wüstenwind, der den Sand mit einem Pfeifen vor sich herjagte, das Zischen von Stimmen wie Peitschen, der Geschmack von Honig und Blut.
Die Rasna entdeckte er jetzt wieder neu, und zwar ohne die Furcht, die ihn seine ganze Kindheit hindurch geplagt hatte. Er hörte die Mütter, die ihre kleinen Kinder lehrten, die Flöte zu spielen, das Instrument, das jeder Rasna beherrschte, und ihnen beibrachten, zu tanzen und zu singen. »Nur Menschen singen, nur Menschen tanzen, nur Menschen lachen«, hieß das Sprichwort. Er hörte die Klagen der Väter, die sich in allen Städten der Rasna darüber beschwerten, daß ihr König zuviel Tribut von ihnen verlangte. Er hörte die Seufzer von Liebenden in den Gassen, und er hörte das Grollen von alten Kriegern, die sich über die mangelnde Achtung der Jugend beschwerten. Aber das, was Ilian sich ersehnte, hörte er nicht.
Doch, es gab gelegentlich Gerede über den König. »Wenn ihr mich fragt«, erklärte einer der Edlen seinen Gästen, »liegt der Grund, warum der König keinen Sohn hat, darin, daß sein Bruder noch lebt. Der alte Numitor hat das Opfer damals nicht bringen wollen, und ihn gegen seinen Willen zu töten wäre ein zu großer Frevel gewesen, aber so haben wir nun zwei Könige, die den Bund mit der Stadt geschlossen haben, und das ist unnatürlich. Ihr werdet sehen, sobald Numitor tot ist, stellt das Gleichgewicht sich wieder her, und Arnth erhält seinen Sohn.«
»Mag sein oder nicht, auf jeden Fall sollte er endlich das Mädchen verheiraten.«
»Will da jemand selbst auf den Thron, Mastarna?« fragte der Gastgeber, und die Runde brach in Gelächter aus, das jedoch eher gutmütig als höhnisch klang.
Ein andermal erlebte er tatsächlich, daß jemand die Geschichte so, wie das Orakel von Delphi sie verbreitete, erzählte und meinte, er habe das von einem der Griechen, die sich weiter unten im Süden niedergelassen hätten. Ein Teil der Anwesenden nickte und war durchaus bereit zu glauben, daß die Edle Ilian damals unschuldig verbannt worden war. »Arnth ist ein alter Fuchs«, erklärte einer, »dem ist alles zuzutrauen. Bei ihren Brüdern hat er ja auch nicht lang gefackelt. Von denen hat keiner mehr was gehört.«
Was Ulsna bei derartigen Äußerungen jedoch vermißte, war eine Abneigung, die über das Murren wegen Arnths zu hoher Tribute hinausging. Es gab genügend Leute, die den König nicht liebten, aber niemanden, der echten Haß zeigte.
Was die Hohepriesterin Fasti anbelangte, so hieß es, es sei eigentlich an der Zeit für sie, eine Nachfolgerin zu wählen, doch versehe sie ihr Amt offenbar nach wie vor zur Zufriedenheit der Göttin. Bei einem Gelage waren Priester von Cath anwesend, die wenig Freundliches über sie zu sagen hatten; Ulsna brauchte nicht lange, um sich zusammenzureimen, daß Cath und nach ihm Nethuns die Götter waren, die, verlöre die Priesterschaft von Turan je ihren Einfluß, als oberste Schutzherren der Stadt verehrt werden könnten. Niemand hegte allerdings die geringsten Zweifel daran, daß Fasti bis zu der Zeit ihr Amt ausüben werde, in der die Götter nicht mehr mit ihr sprachen.
Ulsna stand kurz davor, Alba den Rücken zu kehren, als er von einem Diener des Palastes aufgefordert wurde, vor dem König zu singen. Es bedeutete, mit dem Feuer zu spielen, das wußte er, doch er war nicht in der Lage, seiner Neugier Herr zu werden. Er folgte der Aufforderung.
Arnth empfing ihn stehend und allein, was Ulsnas innere Unruhe nur steigerte. Wäre er zu einem Fest gebeten worden, hätte er sich sicherer gefühlt, auch darin, den Mann dabei in Augenschein zu nehmen. Eine gewisse Familienähnlichkeit zu Ilian und den Zwillingen ließ sich nicht leugnen, doch mehr war nicht zu erkennen. Das braune Haar des Königs und sein Bart waren von grauen Fäden durchzogen, doch die Muskeln an Armen und Beinen wirkten hart wie bei einem jungen Mann. Er lehnte an einer der viereckigen, soliden Säulen aus rotem Ziegelstein, die den Gegensatz zu griechischen und ägyptischen Palästen so überdeutlich machten, und begrüßte Ulsna huldvoll.
»Mehrere meiner Edlen haben dein Können gerühmt, Barde«, bemerkte er, »also wundert es mich, daß du nie bei mir vorgesprochen hast, um deine Dienste anzubieten.«
Er hatte eine tiefe, dunkle Stimme, die Ulsna zu seiner Erleichterung nicht
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