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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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vollends, als ihm am Dorfeingang Ilians Söhne über den Weg liefen und der kleinere ihn voller Abneigung musterte und meinte: »Oh, du schon wieder.«
    Er fuhr dem kleinen Balg zu dessen Empörung gutmütig durch das Haar und meinte: »Junge, du weißt ja gar nicht, wie froh ich bin, dich und deinen Bruder zu sehen.«
    Damit übergab er dem größeren die Zügel seines Pferdes und eilte beschwingten Schrittes zu der Kreuzung aus Hütte und Haus, in der Ilians sogenannter Gatte mit der Familie residierte. Diesmal fand er sie allein vor. Sie flog in seine Arme, aber nach einem ersten heftigen Druck machte sie sich los und trat zurück.
    »Um Himmels willen, wo warst du so lange?« fragte sie.
    Wenn man durch das Zusammenleben mit Ilian gelernt hatte, sich ihre Worte zu übersetzen, hieß das, daß sie sich große Sorgen um ihn gemacht hatte, und er ergriff beruhigend ihre Hände.
    »Mir ist nichts passiert. Aber ich habe ihn gesehen, Ilian.« Rasch schilderte Ulsna ihr seine Begegnung mit Arnth und beobachtete, wie die Anspannung in ihr Gesicht zurückkehrte.
    »Vielleicht sind es nur leere Drohungen, Ilian, und er meint es nicht so.«
    »Wenn ich etwas in den letzten Jahren gelernt habe, dann das: Todesdrohungen muß man ernst nehmen. Oh, verflucht soll er sein. Es ist einfach noch zu früh, um offen gegen ihn zu kämpfen. Sie sind noch Kinder.«
    Sie machte sich von ihm los und begann, unruhig auf und ab zu gehen, als einer der Zwillinge, der Kleine, dem das Mißtrauen immer noch ins Gesicht geschrieben stand, sich zur Tür hereindrängte.
    »Laß mich raten«, sagte Ilian und wirkte zum ersten Mal, soweit Ulsna es beurteilen konnte, in Gegenwart ihres Sohnes deutlich gereizt. »Du hast deinen Bruder geschickt, um Faustulus zu holen.«
    Er nickte und entgegnete trotzig: »Der Vater mag den da auch nicht. Es gehört sich nicht, daß du allein mit ihm bist.«
    Ilian lachte kurz auf, ein hohes, klirrendes Lachen, das sie mit einem Handrücken erstickte, und Ulsna ging der letzten Reste seiner Erleichterung verlustig. Es sah Ilian ganz und gar nicht ähnlich, in einer noch harmlosen Lage wie dieser die Beherrschung zu verlieren. Vor allem nicht den Kindern gegenüber. Wieso war es dem Jungen auf einmal möglich, ihr durch seinen alltäglichen Trotz so zuzusetzen?
    Ulsna ahnte nicht, daß sich der Junge das gleiche fragte. Von dem Moment an, als Romulus die Schwelle überschritt, spürte er, daß heute etwas anders war. Sie war anders. Ganz gleich, welche Feindseligkeiten er ihr bisher an den Kopf geworfen hatte, nichts war imstande gewesen, sie aus der Ruhe zu bringen, aber jetzt, jetzt sah er, wie ihre Gelassenheit dünner und dünner wurde wie die Papyrusrollen, auf denen, wie sie ihm gezeigt hatte, ein Schaben alle Schriftzeichen löschen konnte.
    »Deine Besorgnis kommt etwas spät, mein Sohn«, erwiderte sie, und dem Spott in ihren Worten fehlte die gewohnte Kühle. »Wenn ich nichts Ungehörigeres tun würde, als mit Ulsna allein zu sein, dann hättet ihr alle wahrlich Glück.«
    »Schick ihn weg«, beharrte Romulus. Endlich zeigte sie Schwäche, war aufgeregt, und ihre Aufregung übertrug sich auf ihn. Da war er, der Moment, in dem er sie treffen konnte. Halb, um sie herauszufordern, und halb, weil er es tatsächlich so meinte, fuhr er fort: »Du brauchst ihn nicht.« Du hast uns, wollte er hinzusetzen, doch er schluckte es ungesagt hinunter.
    »Um allein zu bleiben in diesem Gefängnis?« gab sie zurück.
    »Ilian...«, mischte sich der Barde ein, doch sie hob die Hand.
    »Nein. Ich habe genug. Seit Monaten geht das nun schon so. Es wird Zeit, daß hier jemandem die Augen geöffnet werden.« Sie legte die Hände auf Romulus’ Schultern, aber ihr Gesicht, als sie zu ihm herabschaute, hatte nichts Zärtliches an sich.
    »Deinetwegen habe ich in Sklaverei gelebt«, sagte sie sehr leise, und jedes Wort brannte sich in ihn hinein wie die Narben, die er auf ihrer Schulter gesehen hatte, wenn sie ihr Haar wusch. »Vor deiner Geburt, nach deiner Geburt, und jetzt wieder. Du glaubst, du hast das Recht, mich zu hassen, weil ich mir die Art meiner Sklaverei ausgesucht habe und nicht bei euch geblieben bin. Schön. Dann lasse ich dir jetzt die Wahl. Ich lasse mich auf keinen Fall hier weiter einsperren. Du kannst mit mir kommen, und ich werde dich nicht mehr verlassen, oder du bleibst hier und verbringst dein Leben damit, die Schweine zu hüten, als Augapfel deines Vaters.«
    »Ilian«, fiel Ulsna entsetzt ein, »das

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