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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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nicht mehr darauf verlasse, daß du meine Kinder verteidigen kannst. Doch du liebst sie, und ich will nicht grausamer sein, als unbedingt nötig. Ich werde nur einen von ihnen mitnehmen.«
    Es war ein schwindelerregendes Gefühl, der Haß und gleichzeitig das Glück. Sie wollte ihn immer noch mitnehmen. Sie wollte ihn. Sie würde den Vater verlassen und Remus, aber nicht ihn, weil sie ihn mehr als alle anderen wollte.
    »Du wirst keinen von meinen Söhnen mitnehmen!« rief der Vater, und der beißende, zornige, bittere Schmerz in seiner Stimme tat weh und auch wieder nicht. Auch der Vater wollte ihn, nicht nur Remus.
    »Faustulus«, entgegnete sie sehr klar und in der Sprache der Tusci, »es sind nicht deine Söhne.«
    In dem erstickenden, würgenden Schweigen, das folgte, hörte Romulus ihrer aller Atemzüge, hörte von draußen die Grillen zirpen und aus dem Stall das Muhen einer Kuh und fragte sich, wie das Leben nur weitergehen konnte.
    Remus, der nicht so viel Tusci gelernt hatte wie er, aber immer noch genug, flüsterte: »Warum lügst du so? Vater, warum macht sie das?«
    Er hatte Glück, noch sprechen zu können. Romulus klammerte sich an das Wort Lüge, doch mit jedem Herzschlag, der verging und in noch mehr Stille erstickte, starb etwas in ihm.
    »Warum?« wiederholte Remus, und sie antwortete ihm.
    »Es ist keine Lüge. Faustulus ist euer Vater in Liebe, aber nicht dem Blut nach. Als ich Faustulus zur Frau gegeben wurde, von einem Mann, der kein Recht dazu hatte, trug ich euch schon in meinem Leib, und nur deswegen hat mich Faustulus überhaupt geheiratet. Deswegen«, schloß sie, »und für zehn Schweine und zwei Kühe.«
    In Romulus fügte sich ein Erinnerungsfetzen an den nächsten, und obwohl er eben noch sicher gewesen war, nie wieder den Mund öffnen zu können, hörte er sich sagen: »Arnth ist der Tusci-Name des Königs Amulius. Und du bist die Nichte, die er in die Wildnis geschickt hat. Die vom Kriegsgott erwählt wurde.«
    Sie nickte, und er machte sich bereit, seinen Vater an ihr zu rächen. Er würde ihr noch einmal sagen, daß er nicht mit ihr kommen wollte, und wenn sie ihm tausendmal göttliches Blut verschaffte.
    »Geh«, sagte Faustulus und klang plötzlich nicht mehr zornig, sondern nur noch sehr, sehr müde. »Nimm dir deinen Preis und geh.«
    Das mußte wieder ein Alptraum sein. Der Vater würde ihn niemals aufgeben. Romulus drehte sich halb zu ihm um, und da geschah es, daß sie ihm einen noch schlimmeren Schlag versetzte. Sie trat auf Romulus zu, hob sein Kinn mit ihrer Hand und küßte ihn zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr auf den Mund. Dann, ohne ihre dunkelbraunen Augen, die heute brannten wie die Kohlestückchen im Herdfeuer, von ihm abzuwenden, streckte sie die Hand aus und sagte: »Remus.«

    Erst spät in der Nacht, als Ilians Sohn, der seit dem Verlassen seines heimatlichen Dorfes noch kein Wort gesprochen hatte, zumindest so tat, als schliefe er, hielt Ulsna den Zeitpunkt für geeignet, um Ilian nach den Gründen für ihr Verhalten zu fragen. Sie stocherte mit einem Zweig in dem allmählich niederbrennenden Lagerfeuer, das sie bereitet hatten, und schaute auf den Jungen, der mit dem Rücken zu ihr lag. Im Hintergrund hörte Ulsna eines der beiden Pferde schnauben, dachte daran, daß die Versorgung der Pferde die einzige Handlung gewesen war, zu der sich der Junge bereit gefunden hatte, ohne daß ihn jemand darum hatte bitten müssen, und schüttelte den Kopf.
    »Ilian«, sagte er leise in ägyptisch, »warum? Sicher hätte es noch einen anderen Weg gegeben. Jetzt hassen sie dich beide.«
    Im flackernden Schein des Feuers konnte er nur ihr regloses Profil erkennen. Sie antwortete nicht.
    »Außerdem... mir schien es, als hieltest du den Kleinen für geeigneter.«
    »Jetzt wäre ich bereit, einen ganzen Weinschlauch zu leeren«, sagte sie unvermittelt und zusammenhangslos, »ungemischt, und du könntest mich endlich betrunken erleben. Aber das geht nicht, selbst wenn wir einen hier hätten. Ich werde damit warten müssen, bis Remus sich in Griechenland befindet und nicht mehr fortlaufen kann.«
    Sie erhob sich und holte noch etwas trockenes Reisig, das sie, solange es hell war, noch gesammelt hatte, um es in die Flammen zu legen. Über das Knistern hinweg fuhr sie fort: »Ich dachte, ich könnte es tun. Schließlich habe ich sie auch deswegen verlassen. Als Kind sah ich meinen Vater kaum, selbst ehe ich in den Tempel kam. Er liebte mich nicht, und ich liebte ihn nicht. Warum

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