Die Söhne der Wölfin
sollten sie mehr für mich sein als Instrumente des Schicksals, so wie ich eines war? Aber dann zeigte es sich, was für treffende Scherze das Leben mit uns treiben kann. Zwei Kinder. Und auf einmal wollte ich mehr als nur Mittel zum Zweck. Das war ein Fehler, weißt du? Ich wollte«, sie lachte bitter und ohne die geringste Heiterkeit auf, »ich wollte, daß sie mich lieben.«
Mit einer raschen Handbewegung fuhr sie sich über die Wangen, und erst jetzt bemerkte Ulsna, daß sie weinte. Er rührte sich nicht, denn er wußte, daß ein tröstender Arm um die Schulter sie nur dazu bringen würde, zu verstummen.
»Sowie mir das klar wurde, wußte ich natürlich, wie dumm und gefährlich das von mir war. Wenn man ein Kind liebt, möchte man es vor allem Übel beschützen und ganz bestimmt nicht zu einem Werkzeug machen. Wenn ein Kind einen liebt, dann vertraut es, und Vertrauen führt unweigerlich zu Niederlage und zum Tod, wenn man um einen Thron kämpft. Und das Schlimmste war: Dieses verdammte Bedürfnis danach, meine Kinder zu lieben und von ihnen geliebt zu werden, brachte mich manchmal dazu, für immer bleiben zu wollen. Meine Tage als Bauersfrau zu beschließen, friedlich und harmlos wie eine von Faustulus’ Kühen. Und das«, sie hielt inne und wandte ihm endlich ihr Gesicht zu, das trotz der Tränenspuren wieder starr und reglos war, »konnte ich auf keinen Fall zulassen.«
Sich in Ilians Gedankengänge einzufühlen war eine Kunst, dem Spielen seiner Harfe vergleichbar. Es hatte lange gedauert, bis er sie beherrschte; nun brachte er es in der Regel fertig, ohne sich bewußt darum zu bemühen, doch manchmal geschah etwas, das ihn aus der Bahn warf und wieder zum stümperhaften Anfänger machte.
»Willst du damit sagen...«
»Haß ist besser. Haß ist verläßlicher. Mit Haß kann ich umgehen, weil ich ihn kenne. Bei Romulus war es viel leichter, als sich um Liebe zu bemühen. Aber am Ende war ich trotzdem am Abgrund angekommen. Er stand kurz davor, zuzugeben, daß er einfach gern mit mir zusammen ist. Und es machte mir Freude, mit ihm zusammenzusein, ganz gleich, worüber wir sprachen. Was du mir erzählt hast, hat mich aufgeweckt. Arnth ist über die Jahre nicht dümmer oder milder geworden.«
Ulsna schüttelte den Kopf. »Dich durch und durch zu hassen soll Romulus dazu befähigen, Arnth zu besiegen? Das ist doch...«
»Unsinn? Wir werden sehen, Ulsna. Wir werden sehen.«
»Warum dann Remus? Warum hast du ihn nicht dagelassen, wo er war, wenn du nichts für ihn planst?«
»Nichts ist sicher«, entgegnete Ilian hart. »Nicht einmal, daß alle beide ihre Kindheit überleben. Romulus könnte in einer Woche an einem Sumpffieber sterben. Arnth könnte ihn finden, ehe er alt genug ist. Remus ist nicht dumm, er hat die Begabung, Freunde zu gewinnen, und er kämpft gern. Wenn wir nach Ägypten zurückkehren, wird er von Kriegern aller Völker lernen können. Außerdem...«
Sie zögerte, und die entschlossene Reglosigkeit ihrer Miene verlor sich etwas. Es mochte an den wechselnden Schatten liegen, die das Feuer auf sie warf, doch Ulsna schien es, als wirke sie plötzlich älter.
»Was?«
»Du hast doch gehört, was ich gesagt habe. Es wird Romulus endlich die Gelegenheit geben, der Augapfel seines Vaters zu werden. Er glaubt, daß Faustulus Remus mehr liebt.«
Damit zog sie den Umhang, den er ihr mitgebracht hatte, um ihre Schultern und versank wieder in Schweigen. Ulsna grübelte über ihre letzten Worte nach und vermochte nicht zu entscheiden, ob sie Romulus wirklich die ausschließliche Liebe eines Vaters wünschte, den er nun als Ziehvater hatte erkennen müssen, oder ob eine unterdrückte Eifersucht aus ihr sprach, weil der Junge, als es noch eine Wahl gab, Faustulus gewählt hatte.
Haß ist verläßlicher .
Während der Schlaf sich ihm weiter verweigerte und er den leisen Atemzügen Ilians und ihres Sohnes lauschte, begriff er, daß sie nicht nur von den Gefühlen ihrer Kinder gesprochen hatte, sondern auch von ihren eigenen. Ganz offenbar verzieh sie Romulus nicht, daß er in ihr Liebe geweckt hatte.
Ulsna fragte sich, ob sie es Remus verzeihen würde.
Fregenae hatte sich in den letzten Jahren kaum verändert, doch Ulsna fühlte sich von dem Moment an, da sie die Hafenstadt betraten, immer mehr wie ein Fremder in der Fremde. Der Junge öffnete immer noch kaum den Mund, und was er sagte, richtete sich an Ulsna. Immerhin ließ er zu, daß Ilian ihm Stiefel besorgte, und zeigte einen Funken von
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