Die Söhne der Wölfin
kannst du nicht machen.« Er verstand nicht, was in sie gefahren war. So sprach man nicht mit einem Kind. Sie war liebenswerter zu Menschen gewesen, die sie verabscheute, als zu ihrem Sohn, von dem sie behauptete, er sei ihr so ähnlich, und von dem er wußte, daß sie ihn brauchte.
Romulus wurde einer unmittelbaren Antwort enthoben, als Faustulus das Haus betrat, mit dem aufgeregten Remus im Schlepptau. In dem Versuch, zu retten, was noch zu retten war, begann Ulsna: »Ich grüße dich, Faustulus. Heil und Gesundheit.«
»Sie sagt, das hier sei ein Gefängnis!« unterbrach ihn Romulus. Aus seinem kleinen Gesicht war alle Farbe gewichen. »Sie will weggehen!« fügte er hinzu, trat, ohne den Blick von seiner Mutter zu wenden, an die Seite seines Vaters und ergriff dessen Hand.
Ilian preßte die Lippen aufeinander, während der wie vom Donner gerührte Faustulus nur hervorstieß: »Was?«
Unwillkürlich fühlte sich Ulsna an ein Ereignis mit einem Karren erinnert, den er in Ägypten über die Treppen des großen Marktplatzes hinunterpoltern gesehen hatte. Der Besitzer hatte noch Warnungen gebrüllt, aber nicht verhindern können, daß der Karren einige Menschen erfaßte, die nicht rechtzeitig zur Seite gesprungen waren. Man sah das Unglück geschehen und war doch nicht in der Lage, es aufzuhalten.
»Arnth sucht nach mir«, sagte Ilian, kurz angebunden und an Faustulus gewandt, was eine freie Interpretation dessen war, was Ulsna ihr mitgeteilt hatte, doch jetzt war nicht der Moment, um solche Bemerkungen zu machen. »Ulsna hat mit ihm gesprochen. Wenn er mich findet, wird er mich töten, mich und meine Kinder. Es tut mir leid, Faustulus.«
»Aber... du kannst nicht...«
»Es steht mir nicht zu, dir Ratschläge zu erteilen«, sagte sie etwas versöhnlicher, »doch vielleicht solltest du diesen Ort ebenfalls verlassen. Es mag sein, daß er sich an dir schadlos hält, wenngleich ich es nicht glaube. Wenn du möchtest«, sie hielt inne und schluckte, »dann kannst du mich über das Meer begleiten.«
Es war das Dümmste, was Ulsna sie je hatte sagen hören. Das Orakel von Delphi würde keinen Mann in der Nähe einer Frau dulden, deren Reinheit als Priesterin sie bestätigt hatten. Psammetich ließe sich wohl überreden, Faustulus ein Stück Land zuzuweisen, doch er würde ihn ebenfalls nicht in ihrer Nähe sehen wollen, und im übrigen konnte sich Ulsna nicht vorstellen, daß der der Landessprache und des dortigen Umfelds unkundige Faustulus es fertigbrächte, entweder bei den Griechen oder bei den Ägyptern Wurzeln zu schlagen. Daß Ilian ihm dennoch dieses Angebot machte, sprach mehr von ihrer Zuneigung für den Latiner als irgend etwas anderes, was sie bisher getan hatte, doch Ulsna bezweifelte, daß Faustulus dies erkannte. Da er nun wußte, worauf alles hinauslaufen würde, unterdrückte er ein Seufzen und machte sich bereit.
»Hier ist meine Heimat«, erklärte Faustulus, der bleich geworden war, »hier sind meine Leute, und hier bleibe ich. Wenn jemand versucht, dir etwas zuleide zu tun, werde ich dich verteidigen, Larentia, aber wenn du jetzt gehst, dann wage es nie wieder, hierher zurückzukommen.«
Für Romulus ähnelte das alles einer Mischung aus Traum und Alptraum. Sie konnte nicht gehen. Er begriff nicht, warum der Vater es ihr nicht einfach verbot und den Barden hinauswarf. Er verstand nicht, was sie damit meinte, als sie behauptete, dieser »Arnth« wolle sie töten. Es mußte wohl eine Lüge sein. Er wollte, daß der Vater sie verprügelte, um ihr ihre Worte über Sklaverei und Gefängnis heimzuzahlen, und er wollte den Moment, in dem er wußte, daß er ihr weh getan hatte, den Moment, als er seine Hand in die seines Vaters legte, noch einmal erleben.
Sie schüttelte den Kopf, doch als sie wieder sprach, hatte ihre Stimme alles Aufgeregte, Gefühlsbetonte verloren und klang nur noch sehr kalt und sehr sachlich. »Du kannst mich nicht verteidigen«, entgegnete sie und machte eine unmerkliche Kinnbewegung zur Seite hin. Erst jetzt wurde Romulus gewahr, daß der Barde immer näher an den Vater herangerückt sein mußte; auf einmal stand er hinter ihnen und hielt dem Vater ein Messer an die Kehle. Romulus hörte, wie Remus empört die Luft einsog. Ihm selbst wurde sehr, sehr kalt, und die Hand seines Vaters schien die einzige Wärmequelle auf der Welt zu sein.
»Du kannst noch nicht einmal dich selbst verteidigen«, fuhr sie fort, seine Feindin, seine Mutter, »und verzeih mir, wenn ich mich auch
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