Die Söhne der Wölfin
Neugier über dieses Schuhwerk, das er nicht kannte.
»Es lohnt sich bei längeren Reisen«, erklärte Ulsna, während Ilian vormachte, wie man die Bänder eines Stiefels verschnürte. »Aber sei gewarnt, wenn Kiesel oder Sandkörner hineinrutschen, zieh sie sofort wieder aus und schüttle sie, was das Zeug hält. Sonst holst du dir Blasen und Scheuerwunden.«
»Nur Kleinkinder haben Blasen«, protestierte Remus, wurde sich offenbar bewußt, daß er sich auf ein normales Gespräch einließ, warf einen bitteren Blick auf seine Mutter und versank erneut in Schweigen.
Ilian hatte sich nach dem Gespräch am Feuer wieder gefangen; sie strahlte nichts anderes mehr als Gelassenheit und Freundlichkeit aus und versuchte nicht, den Jungen zu einer Unterhaltung zu drängen, obwohl sie ihn hin und wieder auf Interessantes hinwies, wie die offenen Schmieden, aus denen das helle Klopfen von Hammer und Amboß klang, oder den großen Fischmarkt von Fregenae. Ulsna versuchte, wieder mit den Augen eines Kindes zu sehen, und vermutete, daß die langen Leiber der Aale und Zitterrochen, die breiten Thunfische, die Körbe voller Panzerkrebse und Austern und der durchdringende, salzige Geruch, den sie verströmten, in der Tat ein bemerkenswerter neuer Eindruck sein mußte. Hinzu kam, daß sie alle in den letzten Tagen kaum etwas gegessen hatten.
»Wir werden uns etwas für heute abend aussuchen und selbst zubereiten. Je nachdem, wann wir in See stechen, könnte es eine Weile dauern, bis wir wieder etwas Anständiges in den Magen bekommen«, meinte Ilian und fügte, an Ulsna gerichtet, hinzu: »Wer weiß, ob eines von Arions Schiffen im Hafen liegt. Es war vereinbart, aber wir haben ihm schließlich noch nicht einmal eine bestimmte Woche genannt.«
»Aber ich weiß nicht, was das für Fische sind«, sagte Remus, ebenfalls zu Ulsna, und Ulsna fragte sich, ob er für den Rest der Reise das Sprachrohr zwischen Mutter und Sohn spielen sollte.
»Du wirst sie kennenlernen.«
Es fiel Ulsna auf, daß der Junge, der, wenn er sich recht erinnerte, weniger von der Sprache der Rasna gelernt hatte als sein Bruder, nichtsdestoweniger dem Handeln zwischen Ilian und den Fischhändlern recht gut folgen konnte. Als sie darüber klagte, daß die Sardellen vermutlich älter als ein Tag seien und in der Sonne gelegen hätten, wich er mit angeekelter Miene zurück, was den Fischhändler zu einem empörten Beschwören seiner Ehre als jemand, der nur frische Ware anbiete, veranlaßte. Im übrigen umkreiste er vor allem die Muscheln und fragte Ulsna schließlich halblaut, was das für Wesen seien. Ilian schließlich einen Kupferstab gegen die Fische ihrer Wahl eintauschen zu sehen löste eine erneute Frage aus.
»Warum tauscht sie nicht Wolle, Korn oder etwas anderes? Wieso nimmt er dieses Zeug?«
An diese Sitte mußte sich Ulsna selbst noch gewöhnen; in Griechenland gab es mittlerweile auch Silberstäbe, auf die das Zeichen des Orakels von Delphi oder das des Zeus von Dodona geprägt waren und die die Menschen wie Ilian, die mit dem Orakel in Verbindung standen, zum Tausch einsetzen konnten. In Ägypten verwendete man sogar dünnere Kupfer-, Bronzeund Silberscheiben, aber seiner Erinnerung nach hatte man bei den Rasna noch nichts dergleichen getan, als er dieses Land verlassen hatte.
»Er kann es gegen andere Dinge umtauschen, die er braucht. Außerdem war es für deine... für Ilian leichter, damit zu reisen als mit viel Gepäck.«
»Sie ist mit einem vollen Karren zu uns gekommen«, entgegnete Remus und klang traurig, verwundert und wütend zugleich. Ulsna hielt es für besser, das Thema zu wechseln.
Als es darum ging, Kräuter für das geplante Mal zu erwerben, bat Ilian Remus direkt um seine Hilfe. »Du kennst bestimmt mehr als ich.«
Er schaute sie an und schüttelte den Kopf. »Romulus hat recht gehabt«, antwortete er langsam. »Du bist böse. Ich will dir nicht helfen.«
Während Ulsna sich auf die Lippen biß, sagte Ilian: »Das ist deine Entscheidung. Aber glaubst du nicht, daß du vor allem dir selbst hilfst, wenn du dafür sorgst, daß nur die richtigen Kräuter in deinen Magen wandern?«
»Nein«, erwiderte der Junge schlicht und wandte sich von ihr ab; er führte das Pferd, an das er sich in den letzten Tagen geklammert hatte, am Zügel.
Der neugegründete Apollon-Tempel von Fregenae war als Unterkunft einer Schenke wahrlich vorzuziehen. Gewiß ließ er sich mit dem Tempel des Schutzgottes von Fregenae, Nethuns, nicht vergleichen,
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