Die Söhne der Wölfin
begonnen hatte, Abfall aufzulesen. Nur ihre ruckartigen Bewegungen, denen die übliche fließende Eleganz fehlte, verrieten, daß sie sich getroffen fühlte.
»Ich glaube nicht, daß Psammetich sich so einfach geschlagen geben wird, wenn er noch lebt«, meinte sie schließlich, »und die Assyrer werden Ägypten jetzt noch nicht aufgeben. Sie werden zurückschlagen. Alles kommt auf diesen neuen Nubier an. Um welchen von Taharqas Neffen handelt es sich?«
»Kallias murmelte nur etwas von einem unaussprechlichen Namen«, antwortete Ulsna achselzuckend und fügte mit einem Seufzer hinzu: »Griechen...«
Er wußte noch immer nicht, ob es ihn mehr belustigte oder ärgerte, daß sich die Hellenen in all ihren verschiedenen Dialekten doch darin einig waren, Menschen, die keinen dieser Dialekte beherrschten, als »Stammler« und »Stotterer« zu bezeichnen, und deren Ausdrücke wie Namen ablehnten. Es erschien ihm widersinnig, taub für die Musik anderer Sprachen zu sein.
»Nun, eines ist klar«, sagte Ilian und begann, auf und ab zu gehen, »wir werden eine Weile bei den Griechen warten müssen.«
»Dann hast du nicht vor, nach Niniveh zu ziehen?« fragte Ulsna, der einen derartigen Entschluß nicht unbedingt erwartet, jedoch ein wenig gefürchtet hatte, erleichtert. »Falls Psammetich noch lebt und sich dort aufhält, meine ich.«
Im Vorbeigehen griff Ilian nach einem der Tücher, in die sie vor Stunden das frischgewaschene Gemüse geschüttet hatte, und trocknete sich damit die Hände.
»Zu den Assyrern? Ganz bestimmt nicht«, gab sie zurück und senkte ihre Stimme, obwohl außer ihnen niemand mehr im Raum war. »Ich habe die Leichen auch nicht vergessen, Ulsna.«
Kadaver, stinkend, von der erbarmungslosen ägyptischen Sonne, von Schmeißfliegen und Geiern in wenig mehr als Skelette mit modernden Fleischresten verwandelt, Schädel auf den Mauern jeder Stadt eines Deltafürsten, der sich an der Verschwörung beteiligt hatte. Die Erinnerung brachte Ulsna selbst jetzt noch zum Würgen, das er rasch unterdrückte. Bis zu diesem Anblick war ihm nicht bekannt gewesen, wie ein Mensch von innen aussah und zu was er nach seinem Tod werden konnte, wenn man ihn nicht verbrannte oder wie die Ägypter in ihren geheimnisvollen Zeremonien einbalsamierte. Er hätte es lieber nicht erfahren.
Nun hatte er seine Antwort auf die Frage, die ihn manchmal plagte - ob dieses Ergebnis ihrer Pläne Ilian ebenfalls verfolgte. Es machte ihn froh, und auch wieder nicht.
»Sag nicht, daß es einen Anblick gibt, den die Sphinx nicht ertragen kann«, bemerkte er daher, ging zu ihr und legte eine Hand auf ihren Rücken, wo er die tiefsten Narben wußte, die er ihr zugefügt hatte. Sie waren zu lange und zu gut verheilt, um durch die Wolle ihres Chitons noch spürbar zu sein, doch er hätte sie blind finden können. »Es ist deine Aufgabe, andere Leute erstarren zu lassen.«
»Oh, ich könnte einen Berg von Leichen ertragen«, entgegnete sie. »Aber der Junge noch nicht.«
Sie drehte sich um, ergriff die Hand, mit der er sie berührt hatte, und bog seine Finger ein wenig zurück, gerade genug, daß es weh tat, wie stets, wenn er sie auf ihre Narben gelegt hatte.
»Ich bestimme, wann jemand, der mir gehört, dem Tod begegnet.«
Remus entdeckte, daß es seinen Nutzen hatte, andere Sprachen zu beherrschen. Bisher war es ihm mehr oder weniger gleich gewesen, daß Romulus wesentlich mehr von dem Tusci ihrer Mutter aufgeschnappt hatte; es war nur eine Angelegenheit mehr gewesen, mit der er seinen Bruder wegen dessen lauthals verkündeter Abneigung gegen die Mutter necken konnte. Doch ein gutes Zuhause für Xanthos zu suchen, wenn die Leute einen nicht richtig verstanden, fiel schwer und verschaffte ihm das demütigende Gefühl, dumm zu sein.
Als seine Mutter ihm versprach, daß er Xanthos’ neuen Herrn bestimmen dürfe, hatte das die Wunde des Verlustes ein wenig geheilt. Er entschied an Ort und Stelle, daß sein Pferd nicht an die Weißgewandeten in diesem Tempel gehen würde. Zum einen sahen sie nicht so aus, als verstünden sie etwas von Tieren, zum anderen verriet ihre helle Haut, daß sie kaum an die Sonne gingen, und er wollte Xanthos nicht die ganze Zeit im Stall eingesperrt wissen. Außerdem waren sie ihm mit ihrer gänzlich unverständlichen Sprache unheimlich.
Wie sich herausstellte, gab es genügend Tusci, die ein Pferd haben wollten; die Schwierigkeit lag darin, daß nicht alle in Fregenae lebten und selbst die, bei denen es der
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