Die Söhne der Wölfin
Knopfaugen hatten wie die Vögel, ging die Stadt Fregenea am Horizont unter, und mit ihr ein Teil seines Lebens.
Eine der Gewohnheiten, auf die Prokne manchmal gern verzichtet hätte, doch nicht verzichten konnte, war die regelmäßige Enthaarung ihres Körpers. Sich einölen und danach abschaben zu lassen hatte an sich nichts Unangenehmes, vorausgesetzt, die betreffende Sklavin verstand ihr Geschäft, doch das Herauszupfen noch der widerspenstigsten Haarwurzel gehörte zu den weniger erfreulichen Aspekten der Körperpflege.
Nicht, daß sie je darauf verzichtet hätte. Sich auch nur in den kleinsten Dingen gehenzulassen wäre der Beginn der Kapitulation vor dem Alter. Prokne trank selbst bei der ausgelassensten Gesellschaft, die sie gab, nie mehr als zwei Becher und achtete darauf, daß diese zu fünf Siebteln aus Wasser bestanden. Sie zählte jeden Bissen, der in ihren Mund gelangte, und setzte ihre Haut nie lange der Sonne aus. Das Ergebnis ließ sich sehen. Sie war nicht mehr jung, doch niemand hätte angesichts der vollkommenen Figur und der zarten, blassen Haut ihr wahres Alter erraten. Ihre Augen blickten klar und ohne Schwellungen und Tränensäcke in die Welt, und daß sie mit etwas Farbe graue Strähnen im Haar verdeckte, wurde von niemandem vermutet. Nur der Hals machte ihr Kummer; wie es schien, konnten alle Salben der Welt nicht verhindern, daß er allmählich die faltigen Spuren der Jahre zeigte. Noch konnte sie das durch einen Schal oder ein prachtvolles Band verbergen, doch sie spürte, wie die Zeit ihr aus den Händen rann.
Nun, um eine Hetäre zu sein, brauchte es mehr als nur einen schönen Körper, sonst stünde ein Dutzend der jungen, dummen Gänse an ihrer Stelle, als Eigentümerin eines Hauses, eines Weinbergs und noch anderer wertvoller Dinge. Ihr derzeitiger Gönner hätte sich leicht zehn blutjunge und bildschöne Sklavinnen leisten können, für die Geschenke, die er machte, um ihre Gesellschaft zu genießen. Sie brachte ihn zum Lachen, sie hörte sich seine Sorgen an, und er ging nie, ohne sie zu fragen, wann er wiederkommen dürfe. Es bestand eigentlich kein Grund, sich Sorgen zu machen.
Allerdings hatte er nicht so heftig protestiert wie andere Männer früher, als sie bei seinem letzten Besuch von ihrem Vorrecht als Hetäre Gebrauch machte und ihm bedeutete, sie sei an diesem Abend nicht in der Stimmung, das Lager mit ihm zu teilen. Dergleichen mußte man manchmal tun, um die Männer daran zu erinnern, daß eine Hetäre keine Sklavin und keine Hure war und ihre Gunst nie selbstverständlich, Geschenke hin oder her. Es kam nur darauf an, wie man es sagte, und Prokne hielt sich für eine Meisterin in der schwierigen Kunst des Ablehnens, ohne Kränkungen zu hinterlassen. Nur diesmal schien es ihr, als habe sich ihr Gast ein wenig zu schnell mit ihrem Nein abgefunden.
Es lag ihr im Magen, es drückte ihr in den Schläfen, wenngleich sie sorgsam darauf achtete, nicht die Stirn zu runzeln. Wahrscheinlich täuschte sie sich, wahrscheinlich nahm sie etwas für wichtiger und bedeutungsvoller, als es war. Dennoch beschloß sie, den Mann bei seinem nächsten Besuch besonders zuvorkommend zu behandeln.
Als die langwierige Prozedur aus Schaben und Zupfen endlich vorüber war und sie sich mit kaltem Wasser hatte übergießen lassen, hüllte sie sich in eines ihrer liebsten Gewänder aus Kreta. Es munterte sie immer auf, kretische Kleider zu tragen, weil es bewies, daß sich ihr Körper seit ihrer Mädchenzeit kaum verändert hatte. Dann ließ sie den Koch rufen, um mit ihm die Einzelheiten des nächsten Mahles zu besprechen. Nur weil sie selbst wenig mehr aß als ein Vogel, bedeutete das nicht, daß sie ihren Gästen nicht eine reiche Auswahl an Speisen und Weinen bieten mußte. Aphrodite und Demeter wirkten gemeinsam, um den Leib zu erfreuen, das wußte jedes Kind.
Als sie mit ihren Anweisungen fertig war, kündigte ihre Lieblingsdienerin einen Boten an, der sich als ein ihr unbekannter Junge entpuppte. Seiner ungelenken Verbeugung und der Art nach, wie er sich großäugig in ihrem Gemach umschaute, zu urteilen, konnte er noch nicht lange in jemandes Diensten stehen.
»Die Herrin Ilian«, begann er, »entbietet der Herrin Prokne ihren Gruß und die Hoffnung, sie wohlauf zu finden. Die Herrin Ilian ist von ihrer Reise zurückgekehrt und läßt fragen, wann es der Herrin Prokne genehm sei, sie und ihre Begleiter zu empfangen.«
Damit war ihr klar, warum der Junge eine so verlegene Miene zog.
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