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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Altern. Aber wenn du mir den Gefallen tust, um den ich dich bitte, dann wirst du es nicht fürchten müssen. Du wirst nie in Gefahr sein, allein und verlassen zu sterben, selbst wenn sich die Korinther gegen dich wenden und versuchen, dir deine Habe zu nehmen, sobald du deine Gönner nicht mehr bezaubern kannst.« Ihr langer Zopf fiel ihr über die Schulter und streifte dabei Proknes Wange, als sie sich noch etwas vorbeugte und schloß: »Tu, was ich dir sage, und du wirst deine Tage in einem Palast beschließen, wenn du das willst.«
    In all ihren Jahren als Hetäre war Prokne sich stets bewußt gewesen, daß eines der wichtigsten Dinge, die man in ihrem Stand brauchte, Willensstärke war; eine Willensstärke, die diejenige aller »Freunde« übertreffen mußte. Das war nicht immer leicht gewesen; obwohl es in Korinth keine Könige mehr gab, waren ihr oft genug Männer begegnet, die sich für Herrscher hielten. Doch obwohl sie gut genug darin war, ihnen vorzugaukeln, sie seien die Stärkeren, hatte es nie einen gegeben, dem sie sich insgeheim nicht zumindest ebenbürtig gefühlt hatte. Nie war es ihr geschehen, daß sie sich in Wahrheit einem stärkeren Willen gebeugt hatte, nie bis zu diesem Moment, als sie einer Frau in die dunklen Augen starrte, die einmal im wahrsten Sinne des Wortes vor ihr zusammengebrochen war.
    Sie brachte kein Wort heraus, als sie endlich nickte und Niederlage wie Gewißheit gleichzeitig auf den Lippen schmeckte.

    Romulus befand sich mit den Schweinen am Waldrand und beobachtete sie dabei, wie sie nach Trüffeln gruben, als eines der jüngeren Dorfkinder zu ihm lief und atemlos hervorstieß, Krieger des Tusci-Königs Amulius aus Alba hätten gerade seinen Vater geholt. »Pompilius sagt, du sollst bleiben, wo du bist, bis sicher ist, daß keiner von den Kriegern zurückkommt«, endete der Kleine.
    Sein erster Gedanke hätte sein sollen, seinem Vater zu Hilfe zu eilen, doch zu seiner Schande mußte er sich eingestehen, daß sich etwas anderes in ihm formte, aus dem düsteren, giftigen Gemisch heraus, das in ihm brodelte, seit sie mit seinem Bruder und ihrem Barden verschwunden war.
    Sie hat recht gehabt. Er hat sich noch nicht einmal selbst verteidigen können. Er hätte auch sie nicht verteidigen können, oder mich und Remus.
    Es milderte keineswegs seinen Haß gegen sie. Schließlich hatte sie ihm von Anfang an klargemacht, daß der Schlüssel dazu, sie wirkungsvoll zu hassen, darin lag, sie zu verstehen, und er verstand sie mit jedem Tag ein wenig besser. Remus mitzunehmen, das war ebenfalls eine Lehre gewesen. Der Vater hatte Remus gehen lassen, obwohl Remus ihm immer der liebere von ihnen beiden gewesen war. Der Vater konnte nicht kämpfen um das, was er wollte. Er war schwach. Nicht aus Furcht um sein eigenes Leben; Romulus hatte den Vater einmal die alte Mutter des Aulus aus ihrer brennenden Hütte retten sehen. Nein, der Vater war schwach, weil er sie liebte und ihr dadurch die Macht verliehen hatte, ihn zu zerstören. Weil er Remus liebte, und vielleicht auch ihn ein wenig, und nicht wollte, daß sie noch mehr Verletzendes von ihr hörten.
    Liebe macht schwach. Haß macht stark .
    Er selbst war auch noch schwach. Während er die Schweine noch tiefer in den Wald hineintrieb, stellte er sich den Vater in Gefangenschaft vor, und es tat weh. Da half es nichts, sich zu sagen, daß Faustulus gar nicht sein richtiger Vater war; er dachte sich ihn vor dem unbekannten Tusci-König, stellte sich einige der Dinge vor, die sie und der Barde über die Gebräuche der Assyrer erzählt hatten, und schauderte. Er träumte davon, nach Alba zu reiten, um den Vater zu befreien, doch er hatte kein Pferd mehr, und im übrigen war ihm die eigene Unzulänglichkeit als Kämpfer nur allzu bewußt.
    Wenn ich erst ein Mann bin , dachte er, dann wird alles anders sein. Dann wird mir niemand jemals wieder etwas wegnehmen können, das mir gehört.
    Er wartete bis tief in die Nacht, ehe er die Schweine zurücktrieb, obwohl noch zweimal jemand vom Dorf auftauchte, um ihm zu sagen, es seien keine Tusci mehr da. Nachdem die Schweine wieder in ihrem Koben und die Kühe und Hühner versorgt waren, ging er zu Pompilius, um dort zu schlafen; seine Phantasie gaukelte ihm einen nächtlichen Überfall durch die Krieger des Amulius vor, nachdem der Vater ihnen alles über Larentias - Ilians - verbliebenen Sohn erzählt hatte. Er nahm nur die Schriftrollen mit, die ihre Hinterlassenschaft darstellten. Eine hatte er am Tag

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