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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Tempel Tanwetamani wieder umgehend seine volle Unterstützung angedeihen ließ und ihm die Tore der Stadt Theben öffnete. Die Früchte dieser Entscheidung, dachte Neter-Nacht, würden ihr Gift noch verströmen, wenn Tanwetamani längst bei seinen Ahnen weilte. Bei Psammetichs erneutem Einzug hatte er einen nur aus assyrischen Kriegern bestehenden Trupp geschickt, um die Frau zu finden und zu töten. Die Assyrer waren dabei für ihre Verhältnisse noch nicht einmal sonderlich brutal vorgegangen, doch der Tempel würde die Spuren ihres Eindringens noch lange tragen, und der Frevel, den der gewaltsame Tod von Amons geweihter Gemahlin bedeutete, entstellte das Heiligtum schlimmer als das Blut der Frau, das bereits aufgewischt worden war.
    Man meldete, Neter-Nacht, die Fremde, die er als Schülerin angenommen hatte, sei zurückgekehrt, und er seufzte. Es kam nicht unerwartet. Als Ilian zu ihm gebracht wurde und vor ihm niederkniete, verzichtete er auf jegliche formelle Begrüßung:
    »Du kommst rechtzeitig für eine neue Lektion, mein Kind. Höre, wie das Herz beider Länder aufhört zu schlagen.«
    »Furchtbares ist hier geschehen«, stimmte sie zu, »aber hast du mich nicht gelehrt, Herr, daß Ägypten das Land immerwährender Erneuerung sei?«
    Sie berührte den Skarabäus aus Onyx, den er ihr beim Abschied als Zeichen seiner Achtung geschenkt hatte und den sie jetzt um den Hals trug, und er erinnerte sich daran, wie er ihr die Bedeutung des Skarabäus erklärt hatte, des Käfers, der seine Eier in Kugeln aus Dreck verbarg und so ein geeignetes Symbol für die Sonne darstellte, Amon-Re, der sich jeden Morgen aus der Dunkelheit neu gebar. Die Vorstellung hatte sie sofort gefesselt, vor allem, weil ihre eigenen Überzeugungen Anfang und Ende vorsahen, ohne die Möglichkeit der Wiedergeburt.
    »Oh, wir werden uns erneuern«, entgegnete Neter-Nacht bitter. »Aber nicht mehr als das von den Göttern über jedes andere gesegnete Land. Die Zeichen sagten es mir schon eine ganze Weile, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Jetzt gibt es keine andere Möglichkeit mehr. Noch nie ist Theben geschändet worden, noch dieser Tempel, selbst von dem verfluchten Ketzerkönig nicht, dessen Name zur Vergessenheit verdammt ist. Und er, der den Frevel begangen hat, trägt nun die Doppelkrone. Es gibt niemanden mehr, der sie ihm streitig machen könnte. Wie soll sich das Land da noch mit den Göttern versöhnen? Sie haben sich von uns abgewandt, sage ich.«
    Aus ihrer knienden Stellung heraus meinte Ilian: »Herr, für jeden Frevel gibt es eine Buße.«
    Er bedeutete ihr, aufzustehen, ging mit ihr bis in den Raum, wo die Gottesgemahlin ermordet worden war, und deutete auf den Boden, obwohl eifrige Reinigungsarbeiten das Blut kaum mehr erkennen ließen.
    »Das einzige Opfer, das als Buße dafür akzeptiert würde, wäre der Tod des Königs. Doch in diesem Land ist schon so lange kein König mehr für sein Volk gestorben, daß nur unsere Aufzeichnungen noch davon wissen. Und ich bin kein Narr. Stürbe dieser König, so eiferten bald wieder ein Dutzend kleiner Schakale nach der Doppelkrone, und nach dem, was die Assyrer getan haben, wären sie noch nicht einmal mehr von göttlichem Blut. Nein, es wären wohl lauter Heerführer. Schon zu lange zerfleischen sich die beiden Länder. Mehr Blutvergießen verkraftet selbst ein Reich nicht, von dem sich die Götter abgewandt haben.«
    »Verzeih, Herr, aber du klingst sehr sicher, daß es kein König aus Kusch mehr sein wird, der dann die Macht ergreift.«
    Neter-Nacht wußte, daß sie mit Psammetichs Erlaubnis und wahrscheinlich in seinem Auftrag hier sein mußte, doch er begriff ihre Frage dennoch nicht als Versuch, ihn auszuhorchen. Was ihn einst dazu bewogen hatte, sie zu unterrichten, war die Tatsache, daß er einen verwandten Geist erkannte, wenn er einem begegnete. Sie war ehrgeizig, doch darüber hinaus besaß sie Sinn für die tieferen Dinge; sie konnte Zusammenhänge erfassen, die über die Macht jenes Königs oder den Gewinn dieses Fürsten weit hinausgingen. Nur wenige seiner eigenen Priester besaßen genug Wissensdurst, um sich mit der Geschichte, die über die Generation ihrer eigenen Großeltern hinausreichte, zu beschäftigen und zu versuchen, Muster und Strukturen zu erkennen, die sich auf die Zukunft anwenden ließen. Daher antwortete er ihr.
    »Oh, ich bin mir sicher. Tanwetamani ist nur eine kurz aufflackernde Flamme, er hat kein Durchhaltevermögen. Die Zeit der Nubier in Ägypten

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