Die Söhne der Wölfin
ihm in den Sinn, wie Faustulus, der ihm manchmal gar nichts und manchmal zuviel zu verstehen schien, ihn auf die Geschichte von Ilians Auspeitschung hin mit Abscheu gemustert und gesagt hatte: »Sie ist krank.«
Nun, das war er, Ulsna, ebenfalls. Vermutlich war er es immer gewesen, und das hatte sie so lange zusammengeschmiedet. Aber es war zu spät, um sich ein anderes Leben aufzubauen, ein eigenes Leben, getrennt von dem ihren, wie er es einmal geplant hatte. Er konnte es sich nicht mehr vorstellen. Stumm schlang er ihr das lange, nasse Haar um den Hals, ohne den Blick von ihr zu lösen. Dann sagte er achselzuckend:
»Nun, Seeleuten auf ihrer Fahrt den Nil hinauf etwas vorzusingen ist auf alle Fälle angenehmer, als einem Kind hinterherzulaufen oder am Ende von wütenden Latinern ersatzweise verprügelt zu werden, um den armen Faustulus zu rächen. Hoffen wir, daß dergleichen nicht deinem langnasigen Boten geschieht.«
Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben, und sie lehnte sich erneut zurück, damit er mit dem Kämmen weitermachen konnte. »Oh, die Nase ist nicht das einzig Lange an ihm.« Sie machte eine Pause, die für ihn als Barden sofort als wirkungsvolle Unterbrechung erkennbar war, um die Vorstellungskraft der Zuhörer anzuregen, dann fuhr sie fort: »Er hat auch lange Beine und machte ganz den Eindruck, als könne er mit ihnen gut davonrennen, wenn es darauf ankommt.«
Ulsna grinste, und der angespannte Moment war verflogen. Sie unterhielten sich noch eine Weile über Nichtigkeiten, und als er am Ende die Ebenholzstütze unter seinen Nacken schob, um einzuschlafen, stellte er fest, daß der Geist der Herrin Nesmut an diesem Abend mit Erfolg ferngehalten worden war.
Die meisten von der Besatzung ihres Schiffes waren nie weiter als bis Sais gesegelt, und sie nahmen den Anblick der Landschaft Ägyptens, die sich ihnen darbot, mit Ehrfurcht wahr.
Ulsna dagegen kannte das Land inzwischen, doch er konnte sich auch diesmal dem Zauber nicht entziehen. Dem Zauber - und der Sorge. Der Nilschlamm bedeckte die üppigen Felder zu beiden Seiten des Flusses, aber einige von ihnen lagen brach, statt jetzt, zu der günstigsten Zeit, bebaut zu werden, und das bedeutete, daß Besitzer wie Bauern tot sein mußten. Die riesigen Tempel, die ihm immer noch den Atem nahmen, wölbten sich schon von weitem gegen den Horizont, doch der kleine Trupp Krieger, der sie begleitete, bestand darauf, daß sie nicht an Land gehen durften, während Ulsnas Erfahrung nach Ägypter sonst keine Gelegenheit ausließen, um den Göttern ihre Verehrung zu bezeugen. Der ägyptische Lotse, der die Untiefen des Flusses kannte und ihnen daher von Psammetichs Haushofmeister mitgegeben worden war, tat desgleichen. So blieb auch den Griechen nichts anderes übrig, als selbst die drei höchsten Pyramiden des Reiches nur aus der Ferne zu bewundern, wie ein Bild, dessen Berührung verboten war.
Die Krieger gehörten zu jenen, die Psammetich zurückgelassen hatte, um seinen Palast zu bewachen. Ilian hatte ihren Anführer gebeten, ihr einige als Begleitung zur Verfügung zu stellen, und da auch er sie als die fremdländische Magierin kannte, die ihr Herr ehrte und die man sich besser nicht zur Feindin machte, war er der Bitte nachgekommen.
Nicht, daß fünf Krieger und die griechischen Seeleute im Ernstfall etwas ausrichten würden, wenn der Krieg nicht so verlief, wie es inzwischen allgemein erwartet wurde; wenn es Tanwetamani ein weiteres Mal gelang, Psammetich zu besiegen. Doch die Palastwache würde assyrischen Truppen anzeigen, daß sie nicht der falschen Seite angehörten, und vermutlich lohnte es sich, auf ihren Rat zu hören, also ging niemand an Land.
Als sie sich Theben näherten, sank Ulsna das Herz, denn er roch die Stadt erstmals, ehe er die Mauern und die erhabenen Tempel von Karnak am Horizont erblickte. Er roch den Rauch, den kalten, beißenden Qualm der Zerstörung. Er schaute sich nach Ilian um und entdeckte sie, die Hände so fest um die Reling geklammert, daß die Knöchel sich weiß unter ihrer gebräunten Haut abhoben.
»Er hat es tatsächlich getan«, sagte sie tonlos.
Ulsna wußte nicht, warum er Psammetich verteidigen sollte, aber er antwortete trotzdem, selbst erschüttert: »Vermutlich hatte er keine andere Wahl. Die Assyrer...«
Sie schüttelte den Kopf und schaute zum Horizont, wo allmählich die dunkle, dunstige Glocke in Sicht kam, die über Theben hing wie eine erdrückende Haube.
»Das wird das Land ihm niemals
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