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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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verzeihen.«
    Selbst die Griechen, die Theben nicht kannten, wurden immer stiller, je deutlicher sich abzeichnete, was sich unter dem Dunst verbarg: Ruinen. Die Ägypter sprachen keinen Ton. Ulsna starrte zu den eingerissenen Mauern und fragte sich, warum es ihn genauso traf wie der Anblick der unbestatteten Leichen vor einigen Jahren. Zumindest lagen diesmal keine Kadaver herum. Menschen sollten wichtiger sein als Bauwerke, oder etwa nicht? Wenngleich die Abwesenheit von Leichen vermutlich nur bedeutete, daß man den Menschen erlaubt hatte, sie ordentlich zu bestatten. Aber Theben, das von Göttern und Riesen erbaute Theben... Er stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, als er die Umrisse des Amon-Tempels ausmachte. Natürlich hatten sie ihn nicht zerstört. Er war zu gewaltig. Und doch, Rauchsäulen stiegen auch von dort her auf...
    Ilian schloß sich dem allgemeinen Schweigen an, bis das Schiff anlegte. Sie führten die Flagge des Fürsten von Sais, doch es stand bereits eine Schar Krieger bereit, um sie in Empfang zu nehmen. Am Ende brachte man sie in das Große Haus, den altehrwürdigen Sitz der Herren beider Länder, doch das unheimliche Schweigen begleitete sie überallhin, wie die Leere im Antlitz der wenigen Menschen, die sie auf den Straßen sahen.
    Auch im Großen Haus hatte das Feuer gewütet, und es war offensichtlich, daß die Aufräumarbeiten gerade erst begonnen hatten. Von den Möbeln im Inneren war nichts mehr heil, alles zerschlagen oder verkohlt; Stuhl und Tisch in dem Raum, in den man sie brachte, gehörten eindeutig in ein Kriegerzelt.
    Mittlerweile lag ihre letzte Begegnung mit Psammetich schon fast zwei Jahre zurück; dennoch überraschte es Ulsna, wie schnell der junge Mann gealtert war. Die letzten Spuren von Jugendlichkeit waren einer kalten Entschlossenheit gewichen, und das Gesicht unter der blauen Haube, die seinen gesamten Schädel bedeckte, war maskenhaft starr, als die Krieger vor ihm auf den Boden fielen. Ulsna spürte Ilians Hand an seinem Handgelenk ziehen und erinnerte sich gerade noch rechtzeitig, daß bei einem öffentlichen Empfang jeder, und erst recht freigelassene Sklaven, vor dem Einzig-Einen niederzufallen hatten. Er sank gemeinsam mit Ilian auf die Knie und legte den Oberkörper, die Hände in Richtung Psammetichs ausgestreckt, auf den Boden, bis Psammetich sprach.
    »Es freut meine Majestät, unsere treuen Diener wieder bei uns zu wissen.« Er klatschte in die Hände, und die Anwesenden erhoben sich. Nach einigen Worten Psammetichs an den Befehlshaber verschwanden die Krieger, und sie waren mit dem Fürsten allein.
    »Kommt ihr, um die Stunde meines Sieges mit mir zu teilen?« fragte Psammetich mit einer gewissen Herausforderung und Bitterkeit. »Wärt ihr auch nach Niniveh gekommen, oder hättest du versucht, deinen Rat Tanwetamani anzubieten, Ilian, wenn er noch hier säße?«
    »Wir sind deine treuen Diener, Majestät«, entgegnete Ilian ruhig, und Ulsna entging nicht, daß sie einen der Titel gebrauchte, den Psammetich als Regent eigentlich nicht führen durfte, sondern der nur dem Pharao vorbehalten war, den er jedoch gerade selbst für sich in Anspruch genommen hatte. »Deswegen sind wir gekommen, nicht um deinen Sieg zu teilen, sondern deine Trauer. Um Theben, das Juwel Ägyptens, dessen Glanz nun zerstört ist.«
    Psammetich verschränkte die Arme, doch ein Teil seiner Unnahbarkeit fiel von ihm ab, als er antwortete.
    »Ich mußte es tun. Die Nubier konnten immer damit rechnen, daß wir Theben nie direkt angreifen würden, und wenn doch, dann nie mit der gleichen Härte wie andere Städte. Und diejenigen, die ihnen treu waren, desgleichen. Selbst die... Unbestatteten haben nicht genügt. Aber jetzt, jetzt wissen sie, daß es nichts gibt, das furchtbarer ist als mein Zorn. Es wird keine weiteren Bündnisse mit nubischen Herrschern mehr geben, und auch keine nubischen Häupter unter der Doppelkrone.«
    »Es tut mir leid um deinen Vater, Majestät«, sagte Ilian weich.
    Psammetich holte empört Luft. »Du glaubst doch nicht, daß ich es deswegen getan habe?«
    »Nein«, erwiderte sie kopfschüttelnd. »Ich glaube, daß du es getan hast, um nicht wie er in der Niederlage zu enden. Doch er war dein Vater, und die Last beider Länder ruht nun allein auf deinen Schultern.«
    »Es ist eine Last«, gestand Psammetich ein, straffte den Rücken und setzte stolz hinzu: »Doch ich werde sie tragen. Und ich werde Ägypten meinen Nachkommen vererben, Ilian. Die

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