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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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fortlaufe oder eines von den Tieren weglaufen lasse, stimmt’s?« fragte sie spöttisch, ohne einen Hauch von Unsicherheit oder den hilflosen Tränen, die sie zuvor geweint hatte. »Das brauchst du nicht. Wo soll ich schon hingehen?«
    »Nach Tarchna, zu deinem Vater?« schlug er vor, zu verblüfft, um abzustreiten, daß sie seine Gedanken gelesen hatte.
    »Mein Vater haßt mich.« Sie biß sich auf die Lippen. »Er glaubt, ich hätte seinen Thron retten können, wenn ich Fasti nicht...« Mit einer Grimasse hielt sie inne. »Aber davon verstehst du ja doch nichts.«
    »Mehr als du von dem Vieh, das ich dir anvertrauen soll«, gab Faustulus zurück, eher neckend als ärgerlich. Er wollte nicht mit ihr streiten; ein zänkisches Weib brachte nur Unglück ins Haus. Besser, sie zu behandeln wie ein Kind, zumindest die meiste Zeit, oder wie ein Pferd, das man einbrechen mußte. Seltsame Tiere, diese Pferde; er hatte erst bei den Tusci gelernt, wie man sie ritt, und nicht zuviel Druck auszuüben war eine wichtige Grundregel gewesen.
    Das Mädchen beäugte ihn mißtrauisch, dann rümpfte sie die Nase und meinte, sie würde schon lernen, was nötig sei, schließlich könne es nicht so schwer sein, und sie habe ja auch nichts Sinnvolleres zu tun.
    »Was hast du in Alba getan?« erkundigte sich Faustulus, aufrichtig neugierig, und korrigierte schweigend den Rhythmus, den sie beim Melken anschlug. Ihr Gesicht verschloß sich, doch zu seiner heimlichen Überraschung beantwortete sie seine Frage, ohne zu zögern.
    »Ich habe der Göttin gedient. Ich habe den Flug der Vögel und die Bahn der Blitze gedeutet. Ich habe bei der Verwaltung des größten Tempels der Stadt geholfen und mir den Kopf über die Zukunft der Stadt zerbrochen. Ich habe versucht, die Geschichten der Baumeister und Barden aufzuschreiben, um sie besser zu verstehen. Ich war eine Priesterin«, schloß sie und starrte an ihm und der Kuh vorbei ins Leere. »Und jetzt bin ich nichts.«
    Faustulus erinnerte sich an die Worte der Hohepriesterin. Du hast keinen Namen mehr. Du hast kein Volk mehr . Instinktiv machte er das Zeichen gegen den bösen Blick, um das ungute Gefühl zu vertreiben, das in ihm aufstieg. Verglichen mit Alba, mußte ihr sein Dorf wohl auch nur als »nichts« erscheinen; es gab keine Diener, Sklaven und Händler, keine gepflasterten Straßen und keine Steinhäuser mit mehreren Räumen, die so ganz anders waren als die Hütten hier mit ihrem ungeteilten Inneren. Er selbst hatte die Hütten mit ihren Rieddächern und den Pfosten aus Baumstämmen, die ein Mann sich selbst schlagen konnte, mit dem Flechtwerk aus Zweigen dazwischen, das die Frauen der Familie ständig erneuerten, immer vermißt und Steine und Ziegel der Tusci als kalt empfunden. Aber Larentia war in diese Welt aus Stein hineingeboren worden, und mit einemmal fragte er sich, ob sie je in die seine passen würde.
    »Du bist meine Frau«, stellte er fest, um sowohl sie als auch sich selbst zu beruhigen, und beschloß, ihr noch etwas weiter entgegenzukommen. »Ich würde dir gern vertrauen, Larentia.«
    Sie ließ von der Kuh ab und musterte ihn. »Dann verspreche ich dir«, entgegnete sie langsam, »als deine Frau hier zu bleiben, bis ich wieder eine Priesterin bin. Das schwöre ich bei meinem Leben.«
    Er kannte sich nicht gut mit den Tusci-Göttern aus, aber gewiß konnte sie nur diese kleine alte Hexe, die sie verstoßen hatte, wieder zu einer Priesterin machen, und das war unmöglich. Im Prinzip bedeutete ihr Eid, daß sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden hatte. Er beschloß, den Merkwürdigkeiten dieser Woche noch eine weitere hinzuzufügen und sie auf die Probe zu stellen. Am nächsten Tag brach er mit zwei der Ferkel in Richtung Flußdorf auf und ließ die übrigen Tiere in Larentias Obhut zurück.
    Tatsächlich zeigte sich, daß zwei seiner alten Freunde dorthin gezogen waren; der Rest, so hörte er, sei ins Sabinerland gewandert, und man habe nie mehr von ihnen gehört. Seine beiden alten Freunde, Marcus und Rufus, arbeiteten als Knechte für den reichsten Mann des Flußdorfs, Pompilius, und sagten nicht viel Gutes über ihren Herrn, außer daß sie nun volle Mägen hätten.
    »Er zahlt Abgaben an die Tusci«, bemerkte Marcus und spie aus. »Hat sich an sie verkauft, und das ganze Dorf gleich mit. Damit haben die sich über Wasser gehalten, als wir am Verhungern waren und unser Dorf aufgeben mußten. Dafür müssen sie einen Teil ihres Viehs und Getreides an den Tusci-König in

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