Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Alba abführen.«
    Wie sich herausstellte, waren Marcus und Rufus nicht die einzigen, denen der Umstand, daß sie im wesentlichen nun den Tusci untertan waren, schwer im Magen lag. Faustulus brauchte nicht lange, um zu entscheiden, daß es nicht klug wäre, sich mit einer Tusci-Frau hier niederzulassen. Nun, wenn Larentia sich als einigermaßen geschickt erwies, dann konnten sie versuchen, im alten Dorf zu leben, und es würde genügen, ab und zu zum Handeln hierherzukommen. Für seine zwei Ferkel bekam er genug Getreide für das Essen, etwas Saatgut, um im Frühling die Felder zu bestellen, und allerlei andere nützliche Dinge obendrein. Marcus und Rufus fragten nicht viel, nachdem er ihnen erzählt hatte, er habe jetzt ein Weib und einiges Vieh; sie waren zu froh, einen alten Freund wieder in ihrer Nähe zu haben. Sollte es Faustulus tatsächlich gelingen, als einsamer Hirte und Bauer zu überleben, dann bestand sogar die Aussicht, zu ihm zu stoßen, wenn sein Viehbestand erst einmal groß genug wäre.
    Erst auf dem Rückweg kam Faustulus in den Sinn, daß er wohl bald ebenfalls für Pompilius arbeiten würde, wenn er Larentia falsch eingeschätzt hatte. Aber sein Vertrauen erwies sich als gerechtfertigt. Sie saß brütend vor der alten, kalten Feuerstelle, als er zurückkehrte, und malte mit der Asche oder einem angekohlten Holzstück irgendwelche Zeichen auf den Boden, was ihm nicht sehr gefiel. Aber sie war noch da, und das Vieh ebenfalls.

    Im großen und ganzen stellte sich Larentia nicht übel an und lernte das, was Faustulus ihr beibrachte, mit einer erbitterten Energie, als handele es sich um einen Feind, den sie besiegen müsse. Die Arbeit als Bauer war hart für ihn, aber er zog sie dem Dasein als Unfreier in Alba allemal vor. Er hätte glücklich sein können, wenn ihm nicht bewußt gewesen wäre, daß seine Frau es nicht war.
    Manchmal dachte er, daß sie in Wirklichkeit viele Gesichter hatte. Da war das Mädchen, dem morgens übel wurde und das dankbar war, wenn er sie danach festhielt und ihr den Rücken rieb; das Mädchen, das sich nach einem Tränenausbruch an ihn klammerte. Dann gab es die unnahbare Fremde, die in seinem Bett lag, wenn er sie sich nahm, und die dabei weit, weit weg zu sein schien. Es gab die sehr sachliche, vernünftige Larentia, die sofort begriff, wenn er ihr erklärte, daß das Errichten eines festen, sicheren Kobens für die Schweine Vorrang vor dem Abdichten ihres Hauses haben müsse; und es gab das seltsame Wesen, das ohne jeden Grund und aus heiterem Himmel einen guten Holznapf auf einem Stein zerschlug, systematisch, wieder und wieder, während er zu verblüfft war, um dagegen einzuschreiten, so daß er dann einen neuen schnitzen mußte.
    Es gab sogar einen Teil von ihr, der ihm angst machte. Er zeigte sich nur selten, das erste Mal, als ein Gewitter aufzog und Faustulus die Tiere so schnell wie möglich in ihre Unterstände treiben wollte. Diesmal half Larentia ihm nicht. Sie ignorierte ihn, stand mit weit geöffneten Armen da und schien die aufsteigende geballte Düsternis am Himmel in sich hineinzutrinken.
    Er schrie ihr zu, sie müßten sich in Sicherheit bringen, aber sie rührte sich nicht. Zuerst dachte Faustulus, sie würde beim ersten Regentropfen Vernunft annehmen, und machte sich achselzuckend daran, für die Tiere zu sorgen, die das aufziehende Gewitter spürten und mehr als unruhig waren. Doch als alles erledigt war, stand Larentia immer noch da, mit diesem ekstatischen Gesichtsausdruck, der Faustulus zutiefst verstörte.
    »Komm jetzt«, rief er, »es ist zu gefährlich hier draußen.«
    Sie lachte, und es lief ihm kalt den Rücken hinunter. Er hatte sie noch nie lachen hören und nur selten lächeln sehen, aber jetzt lachte sie, aus vollem Hals und mit einer unheiligen Freude.
    »Nicht für mich, Faustulus«, sagte sie, und ihre Stimme klang anders als sonst, tiefer, reifer, die Stimme einer Frau, nicht mehr die eines Mädchens. »Du weißt doch, daß wir Rasna über die Blitze gebieten können.«
    Wenn er nie bei den Tusci gelebt hätte, würde er ihr das fraglos geglaubt haben, denn dergleichen erzählte man sich tatsächlich in seinem Volk. Dank seiner zwei Jahre in Alba wußte er jedoch, daß die Tusci wohl nicht über solche Kräfte verfügen konnten, ganz gleich, wozu sie ansonsten in der Lage waren. Er hatte erlebt, wie Arnths Trupp von einem plötzlichen Gewitter zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt heimgesucht und wie eine halbfertige Brücke, die

Weitere Kostenlose Bücher