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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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vollkommen durchschaut hat, von Anfang an. Du könntest das wirklich etwas mehr würdigen.«
    Sie versetzte ihm noch einen kleinen Klaps auf die Wange, dann lehnte sie sich zurück und lachte. Nach einer Weile fiel er in ihr Gelächter ein. Ihm wurde bewußt, was er als Kind nicht geahnt hatte, als sie ihn zum ersten Mal formte wie einen Lehmklumpen: daß solche Augenblicke gezählt waren. Ganz gleich, wer gewann - die Zeit, die er mit ihr verbrachte, war befristet; was danach kam, konnte nicht mehr das gleiche sein.
    »Dann verrate mir, mein einsichtsvoller Sohn«, sagte sie, wieder ernst geworden, »fühlst du dich der Erde verbunden? Spricht sie mit dir?«
    Er dachte darüber nach. »Diese Erde jetzt?« fragte er schließlich zurück. »Ja. Aber bisher hat noch keine Stadt der Tusci in mir etwas anderes geweckt als den Wunsch, sie zerstört zu sehen.« Mit einem kurzen Seitenblick stellte er fest, daß sie ihre übliche Gelassenheit zur Schau trug. »Vielleicht nicht vollkommen zerstört«, fuhr er fort. »Aber unterworfen. Besiegt. Völlig gedemütigt. Ganz und gar... mein.« Mit einer plötzlich aufwallenden Heftigkeit setzte er hinzu: »Was hast du erwartet, Larentia? Ich bin ein Latiner, weil du mich zu einem gemacht hast.«
    »Du bist ein denkender Mensch«, gab sie zurück. »Man kann auf diese Weise ein Reich erobern. Psammetich hat es getan. Doch das Volk wird ihm nicht verzeihen, das Land wird ihm nicht verzeihen, und seine Götter werden ihm nicht verzeihen. Die Dynastie, die er gegründet hat, wird nicht fortbestehen. Man kann nicht immer nur nehmen. Wenn du alles willst, mußt du auch bereit sein, alles zu geben.«
    Über dem Zirpen der Grillen und dem Austausch an Erde und Einsichten war das letzte Sonnenlicht verblaßt. Es fiel Romulus immer schwerer, Einzelheiten ihres Gesichts auszumachen, und er fragte sich, wann der Mond aufginge.
    »Weise Worte, Larentia. Aber wenn ich mich nicht irre, dann hast du es den Göttern sehr übelgenommen, als sie dich das einzige Mal, als du bereit warst, alles zu geben, beim Wort genommen haben.«
    »Oh, du bist gut«, sagte sie leise, und er fragte sich, ob er je genug von diesen seltenen, so seltenen Siegen haben würde. »Du bist wirklich gut.«

    Die kleine Schar ihrer Anhänger war, fand Remus, mittlerweile so gut, als wären sie von einem griechischen Waffenmeister ausgebildet worden. Den Gedanken, daß diese Einschätzung mehr mit seinem gesunden Selbstvertrauen und jugendlichen Übermut zu tun hatte und daß die Männer, die ihn selbst unterwiesen hatten, möglicherweise anderer Meinung wären, verjagte er wieder. Das Gerücht von einem eigens auf sie angesetzten Trupp beunruhigte ihn nicht, im Gegenteil, er sehnte sich nach einer Probe, einem Waffengang mit stärkeren Gegnern als Kaufleuten und ihrer Leibwache.
    Sein Wunsch sollte sich erfüllen. Bei einem ihrer nächsten Überfälle stellte sich heraus, daß die angeblich mit Getreide beladenen Karren in Wirklichkeit unter den Verschlägen Krieger bargen und auch diejenigen, die auf den Eseln saßen und neben den Karren gingen, unter ihren Umhängen Schwerter trugen. Es wurde ein heftiges, erbittertes Scharmützel, und bald verschwand selbst der Stolz darauf, daß sich seine Leute mit ihren Speeren, Knüppeln und den paar Schwertern sehr gut ihrer Haut zu wehren wußten, vor der Notwendigkeit eines Kampfes ums nackte Überleben. Die Lektionen aus Korinth und selbst die aus Ägypten, wo er einen von Psammetichs Hauptleuten dazu gebracht hatte, fast täglich mit ihm zu fechten, wirkten milde im Vergleich, doch sie ließen ihn reagieren, ohne darüber nachzudenken, und dafür war er nun dankbar. Er konnte kaum noch denken. Er nahm nichts weiter mehr wahr außer dem Mann, mit dem er gerade kämpfte. Als sein Gegner mit durchschnittenem Hals zu Boden sank, spürte Remus ein kurzes Brennen an der Schulter, wirbelte herum und sah ein aufgerissenes, brüllendes Gesicht, einen Mund, aus dem Blut quoll, einen Mann, der zu Boden stürzte, und seinen Bruder, der mit geröteter Klinge hinter diesem Mann stand. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, was geschehen war; der Krieger aus Alba hätte ihn um ein Haar getötet, wenn Romulus nicht gewesen wäre.
    »Danke«, stieß er hervor.
    Romulus schaute auf sein Schwert aus Eisen, das Ilian ihm geschenkt hatte, auf seine blutigen Hände und auf den Mann am Boden, dann lächelte er zu Remus’ Überraschung und stieß noch einmal auf den Körper am Boden ein. »Bloß ist

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