Die Söhne der Wölfin
der Rücken ohne einen Bruder«, zitierte er, doch es war keine Zeit, ihm zu antworten; das Kampfgetümmel um sie herum ging weiter.
Am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Weite zu suchen; immerhin hatten sie den Kriegern des Königs von Alba zu große Verluste beigebracht, als daß diese noch in der Lage gewesen wären, sie gezielt zu verfolgen. »Trotzdem«, murrte Scaurus, »es ist eine Schande, daß wir geflohen sind.«
»Wir sind nicht geflohen«, sagte Remus begütigend. »Wir haben den Rückzug angetreten.«
»Und wo ist da der Unterschied?«
»Den Rückzug antreten heißt fliehen, aber mit Würde«, warf Romulus ein, der entweder tatsächlich guter Stimmung war oder den Männern ein Beispiel geben wollte. Seine trockene Bemerkung löste Gelächter aus, und Remus stellte fest, daß er von seinem kleinen Bruder beeindruckt war, weit über die Dankbarkeit für die Rettung seines Lebens hinaus. Er selbst fühlte sich noch sehr benommen von dem, was sie heute getan hatten, mußte sich zusammennehmen, um ein guter Anführer zu sein, und im Gegensatz zu Romulus hatte er bereits früher Tote gesehen, wenngleich keine, die durch seine Hand umgekommen waren. Romulus ließ sich nichts von Erschöpfung oder Erschütterung anmerken, sondern fand für jeden der Männer ein aufmunterndes Wort und wirkte im übrigen von einer inneren, Stärke spendenden Spannung erfüllt wie vor einem Kampf, nicht hinterher. Fürwahr, die Zeiten des mürrischen kleinen Jungen, der sich mit den anderen Kindern immer nur gezankt hatte, waren vorüber.
Als sie wieder im Lager ankamen, verarzteten die Mutter und Ulsna jedermanns Wunden. Remus hätte nicht geglaubt, daß er einmal wirklich dankbar für all die priesterlichen Erfahrungen seiner Mutter sein würde. Doch er wußte recht gut, daß die Priester des Apollon den Ruf der größten Heilkünstler bei den Griechen besaßen, und er erkannte das eingestickte Schlangensymbol auf dem Beutel, den seine Mutter hervorholte, nachdem sie den Schnitt auf seiner Schulter ausgewaschen hatte. Was sie darauf streute, brannte etwas; natürlich hielt er still.
»Es ist nicht so tief, daß es genäht werden müßte«, sagte sie, »du hast Glück gehabt.«
»Weil Romulus mich gerettet hat«, erwiderte er, hielt nach seinem Bruder Ausschau und fand ihn zu seiner heimlichen Verblüffung an Ulsnas Seite, damit beschäftigt, einige ihrer Gefährten zu verbinden.
»Mutter«, sagte er ein wenig beunruhigt, »du mußt dafür sorgen, daß Romulus sich ausruht. Er hat genauso viel geleistet wie alle anderen, er sollte selbst versorgt werden.« Dann veranlaßte ihn die Begeisterung, die durch Erschöpfung und Schmerz hindurchstrahlte, hinzuzufügen: »Ist er nicht ein wunderbarer Anführer geworden?«
Sie befestigte den letzten Knoten unter seiner Achsel, der das Band um seine Schulterwunde festhalten sollte, und legte ihm einen Moment lang die Hand auf die Schulter. »Zweifellos«, entgegnete sie, ehe sie sich erhob, um zu Scaurus zu gehen, dem angeblich nichts fehlte, obwohl er immer deutlicher hinkte. Plötzlich fragte sich Remus, wie sie, wenn ein Scharmützel mit einer einzigen Truppe Arnths schon solche Spuren hinterließ, wohl ein Gefecht mit dem gesamten Heer von Alba überstehen sollten, und ob sie am Ende doch, wie der König von Ägypten, eines anderen Herrschers Truppen als Unterstützung im Rücken brauchen würden. Der Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht, doch er ließ sich nicht mehr vertreiben.
Für Romulus stand fest, daß sie mehr Wachen aufstellen mußten, bis sie soweit waren, um weiterzuziehen; ganz gewiß hatte zumindest einer aus dem Stoßtrupp den Auftrag, ihnen nachzuspionieren. Nachdem alle Verwundeten versorgt waren, lief er unruhig vor dem Verschlag, wo sie ihre paar Pferde untergebracht hatten, auf und ab, als Ilian ihn mit einem Wasserschlauch in der Hand einholte.
»Dein Bruder meint, du müßtest erschöpft sein«, sagte sie und musterte ihn prüfend. »Ulsna dagegen behauptet, daß es dir nicht besser gehen könnte.«
Er lachte, spürte die Trockenheit in seiner Kehle und nahm ihr den Wasserschlauch ab. Er hatte kurz nach der Ankunft bereits getrunken, doch der Durst in ihm war noch längst nicht gestillt, und das bezog sich nicht nur auf das Wasser. Wie alle Schläuche war auch dieser aus Mägen und Leder zusammengenäht, und er überlegte sich flüchtig, ob er das betreffende Schaf wohl selbst geschlachtet hatte, während er sich das Wasser in die Kehle
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