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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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meine Zweifel.«
    Gerade sog er noch den ohnmächtigen Zorn in Ulsnas Augen in sich auf, als er eine scharfe Spitze an seinem Unterleib spürte. Romulus zuckte zusammen und fluchte, ehe er sich zurückhalten konnte. Ausgerechnet die Messerfertigkeit des Barden zu vergessen war ausgesprochen töricht gewesen. Das kam davon, wenn man sich gehenließ, bevor es an der Zeit war. Er war sich ziemlich sicher, daß Ulsna nicht an einem öffentlichen Ort wie diesem zustechen würde, noch dazu mit Remus auf der anderen Seite des Tisches, doch die Klinge am empfindlichsten Teil seines Körpers ernüchterte ihn und brachte ihn dazu, sich sehr still zu verhalten.
    »Du bist ein kranker kleiner Mistkerl«, sagte Ulsna, »und der einzige Grund, warum ich nicht gleich dafür sorge, daß du nicht noch mehr kranke Mistkerle in die Welt setzt, ist, daß sie es mir übelnehmen würde. Ja, ich weiß, daß du lügst und daß nichts dergleichen geschehen ist. Heute nicht. Aber wenn du vorhaben solltest, diesen Gedanken jemals Wirklichkeit werden zu lassen, dann erinnere dich an das Hier und Jetzt.«
    Romulus spürte alles sehr deutlich; die Hitze in der Schenke, den Geruch nach verschüttetem Wein, nach alter Pisse von jemandem, der es nicht bis auf die Straße geschafft hatte, das sorglose Lachen seines Bruders, Ulsnas mörderischen Blick, das Messer und sein Glied, das sich versteifte.
    »Und was ist mit der Kranken, die mich in die Welt gesetzt hat?« fragte er zurück.
    Er sah etwas in Ulsnas Augen aufblitzen, auftauchen wie ein Fisch aus dem Fluß, dem man den richtigen Köder zugeworfen hatte, doch er sollte nie erfahren, ob Ulsna darauf noch etwas erwidert hätte. Remus suchte sich just diesen Zeitpunkt aus, um sich daran zu erinnern, daß er einen Bruder hatte, dem er eigentlich zu ein paar schönen Stunden verhelfen wollten.
    »Romulus«, rief er, »hör auf, mit Ulsna zu schwatzen, und hör dir lieber an, was diese Mädchen zu erzählen haben!«
    Der Druck des Messers verschwand, und Ulsna rutschte etwas von ihm fort, ehe er sich erhob. »Ja, ihr beiden, nutzt die Gunst der Stunde«, meinte er. »Ich werde mich wieder der Unterhaltung aller widmen, statt meine Beredsamkeit an euch zwei Ahnungslose zu verschwenden. Schließlich will ein Barde«, schloß er, ohne den Blick von Romulus zu lösen, »daß seine Worte im Gedächtnis der Menschen bleiben.«

    Als sie am nächsten Tag in das Lager zurückkehrten, nahmen sie einen anderen Weg, denn unter anderem hatten sie in Xaire das Gerücht gehört, der König von Alba habe eine Truppe eigens zur Ergreifung der latinischen Banditen, die die Bewohner und Handelszüge seiner Stadt überfielen, losgeschickt. Immerhin hieß es auch, der König von Xaire habe, wiewohl seine Stadt Alba am nächsten lag, jede Hilfe verweigert, da ihm die Räuber nie Ärger machten und Xaire sich ohnehin im steten Wettbewerb mit Alba befand. Dennoch schien es sowohl Ulsna als auch den Zwillingen ratsam, einige Umwege zu nehmen, so daß sie erst in der abendlichen Dämmerung an ihrem Ziel eintrafen.
    Romulus achtete darauf, ob Ulsna sich irgendeine Unruhe anmerken ließ, und stellte zufrieden fest, daß der Barde sofort nach Ilian Ausschau hielt und, als er sie nirgendwo sah, den nächstbesten nach ihr fragte. Der Betreffende antwortete ehrerbietig, die Edle Ilian sei den östlichen Hügel emporgestiegen, um die Sterne zu beobachten. Romulus verbiß sich ein Grinsen. In Wahrheit war seine Mutter allen hier viel zu unheimlich, als daß jemand sie auch nur mit dem kleinen Finger angerührt hätte, doch er war bereit, zu wetten, daß Ulsna dies in der Schenke nicht in den Sinn gekommen war. Um Ulsna zu beweisen, daß er keine Angst vor seinen Drohungen hatte, sagte er:
    »Ich werde sie holen«, und fügte mit einem Blick auf Remus noch hinzu: »Oder bestehen dagegen Einwände?«
    Es mußte das Licht der untergehenden Sonne sein, das Remus’ Wangen rötlich färbte, dachte Romulus zuerst, doch dann verriet ihm die empörte Miene seines Bruders und die Art, wie er sich halb zu Ulsna umdrehte, daß Remus offenbar wieder eine seiner nicht vorhersagbaren Einsichten hatte. Entweder das, oder Ulsna mußte vor ihrem Ausflug mit ihm gesprochen haben.
    »Ganz gewiß nicht!« entgegnete Remus heftig. Diesmal gestattete sich Romulus ein Grinsen in Ulsnas Richtung, dann schlenderte er in Richtung des bezeichneten Hügels davon.
    Es war keine große Erhebung, und er war trotz des langen Marsches nicht außer Atem, als seine

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