Die Söhne der Wölfin
hörte er, wie jemand neben ihm rief: »Seht, dort, er ist schon da!«, und aufgeregt mit der Hand in die Richtung des Palastes deutete. In der Tat, dort erschien er, ebenfalls von Kriegern umgeben: Ilians Sohn, eine schlanke, drahtige Gestalt, mit starr gerecktem Kopf und Hochmut in jedem Schritt. Seine Haltung löste in Ulsnas unmittelbarer Umgebung Feindseligkeit und Anerkennung zugleich aus.
»Der glaubt wohl nicht, daß es ihm tatsächlich ans Leder geht«, bemerkte ein Mann an Ulsnas Seite, und seine Begleiterin meinte: »Aber schau doch, er ist noch so jung. Nicht wie die anderen zwei.«
Der Unterschied zwischen Romulus und den zwei weiteren Gefangenen stach Ulsna ebenfalls ins Auge, und er steigerte seine innere Unruhe. Zum einen trug Romulus keine einfache latinische Tunika, und gewiß nicht die, in der er vor zwei Wochen das Lager verlassen hatte. Nein, er trug einen Chiton, und als Ulsna sich weiter durch die Menge schob, konnte er erkennen, daß Romulus im Gegensatz zu den anderen beiden Verbrechern keine Bartstoppeln hatte. Angesichts seines Erscheinens aus der Richtung des Palastes, nicht des Tempels, mußte das bedeuten, daß Arnth dem Jungen diese Vorzugsbehandlung hatte angedeihen lassen, und dafür gab es keinen guten Grund. Nur eine ganze Menge schlechter.
Amulius, dachte Romulus, wußte so gut wie jeder Priester um die Wichtigkeit der Steigerung, und selbstverständlich wußte er alles über die Last des Wartens. Daher wunderte es Romulus nicht, daß der König zuerst seine beiden Mitgefangenen vorführen ließ, auf daß er Recht über sie spreche. Es gab Romulus noch mehr Zeit, sich sein mögliches Schicksal auszumalen, was wohl die Absicht war.
Der rote Chiton fühlte sich weich auf seiner Haut an, und das irritierte ihn. Es war den Aufwand nicht wert gewesen, dagegen zu protestieren, wie ein Opfer herausgeputzt zu werden, also hatte er es unterlassen. Gleichzeitig war ihm bewußt, daß einem Teil von ihm die Behandlung gefiel, der Teil, der sich bei Remus’ Erzählungen von den Herrlichkeiten der Griechen und Ägypter nach diesen gesehnt hatte, während sein besseres Selbst sie laut als weichlich verspottete. Nun, ganz gleich, wie lange Amulius ihn zur Schau stellen und warten lassen würde, zum Verweichlichen blieb keine Zeit mehr, und so beschloß er, zu genießen, was sich genießen ließ.
Die Familie der durch ihren Gatten ermordeten Frau war die erste, die Klage führte, während die Familie des Gatten um sein Leben bat und auf die Untreue der Frau hinwies. Der Mann selbst wollte nichts sagen. Am Ende entschied Amulius auf Tod, was von der Menge mit von vereinzeltem Beifall durchsetztem Schweigen aufgenommen wurde. Danach kam der Schwätzer an die Reihe. Er hatte niemanden, der sich für ihn einsetzte, sprach jedoch selbst endlos davon, wie sein Schwiegervater ihn kurzgehalten, wie einen Sklaven ausgebeutet und seinen Schwägern alles Gut habe überlassen wollen. Unruhe kam unter den Zuschauern auf, weniger aus Empörung oder Mitleid als aus Ungeduld. Immer mehr starrten zu Romulus hin. Es war etwas Berauschendes daran, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit so auf sich gerichtet zu sehen. Er versuchte, es sich nicht zu Kopf steigen zu lassen.
Amulius verurteilte den Mörder aus Habgier dazu, seinen Schwägern als Sklave zu dienen, was von der Seite des Verurteilten aus mit Zetern und im übrigen mit kaum mehr als Gleichgültigkeit aufgenommen wurde. Eigenartig, dachte Romulus. Soweit es all diese Leute betrifft, bin ich der paar Krieger wegen hier, die ich getötet habe, und des geraubten Gutes wegen. Was unterscheidet diese Taten von der des Schwätzers, der ihnen so gleichgültig ist?
Er hatte zu lange zuviel Zeit gehabt, und nun war nicht mehr Zeit genug, um über die Seelen der Menschen nachzugrübeln. Amulius sprach mit einer volltönenden Stimme, die keinen Anflug von Heiserkeit erkennen ließ.
»Und nun ist die Zeit gekommen, dem Räuber, der den braven Bürgern von Alba soviel Kummer bereitet hat, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«
Die Schlange gekränkter Kaufleute war eindrucksvoll. Romulus ertappte sich bei dem Wunsch, einige von ihnen umgebracht zu haben, und schalt sich gleich darauf töricht. Es machte ohnehin keinen Unterschied. Jeder von ihnen jammerte über seine gestohlenen Waren, sein geraubtes Vieh und seine Verluste und vergaß nicht, zu erwähnen, daß Romulus es gewagt hatte, die Person des Königs und dessen Schutz nicht anzuerkennen. Am Schluß
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