Die Söhne der Wölfin
was er zu sein behauptet.«
»Turan hat sich offenbart«, sagte eine ältere, stämmige kleine Frau, und im Gegensatz zu den beiden anderen Rednern zitterte ihre Stimme ein wenig.
Dennoch waren es erst ihre Worte, die Amulius ein deutliches Zusammenzucken entlockten. Romulus zog daraus den Schluß, daß es sich um Fasti handeln mußte. Ganz offensichtlich hatte der König bei allen Erwägungen nicht vermutet, daß ihm seine engste Verbündete in den Rücken fallen könnte.
»Turan hat sich offenbart, ihrer Priesterin ihren Namen zurückgegeben und sie gereinigt von allem Fluch. Hier steht sie, um die Abstammung ihres Sohnes zu bezeugen.«
Das genügte, um der Menge einen Aufschrei zu entlocken und Romulus einen Moment lang völlig aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen würde, doch hier war sie, inmitten von Turans Priesterinnen, kaum zu unterscheiden von den anderen, bis sie hervortrat und den Schatten der Kolonnaden, unter denen die anderen standen, hinter sich ließ. Das Sonnenlicht ließ ihr weißes Gewand aufleuchten, und Romulus erlebte ein Aufwallen reinen Gefühls. Er wußte selbst nicht, ob es der Wunsch war, sie tot zu sehen oder für sie zu sterben.
»Volk von Alba«, sagte sie, »dies ist mein Sohn.«
Diesmal konnte man nicht mehr von einem Summen sprechen; der Lärm, der losbrach, war ohrenbetäubend. Doch Romulus nahm nichts wahr außer der in Weiß gekleideten Frau und dem Mann auf seinem Thron, die ihn beide anschauten. Auf eine seltsame Weise kam es ihm fast vor, als sei er inmitten der riesigen Menge allein mit ihnen.
Amulius hatte den Anschein unerschütterlichen Gleichmuts inzwischen aufgegeben. Er starrte von Romulus zu Ilian, dann erhob er sich, und die Wache begann, um Ruhe zu brüllen.
»Dies«, erklärte Amulius, als erneut Schweigen eingekehrt war, »mag dein Sohn sein. Doch inwiefern verschafft ihm das Anspruch auf meinen Thron? Dein Vater Numitor hat die Herrschaft nicht meinetwegen verloren, sondern weil die Götter sich von ihm abgewandt haben, was alle hier anwesenden Priester ebenfalls bezeugen können, wenn sie schon einmal dabei sind, Zeugnis abzulegen. Du selbst bist aus der Stadt verbannt worden, weil die Götter sich von dir abgewandt hatten, selbst wenn sie dir nun wieder ihr Ohr leihen. Ich dagegen bin von ihnen als König anerkannt worden, und als Zeugin dafür rufe ich dich selbst auf. Haben mich Stadt und Götter nach meiner Krönung als rechtmäßigen König angenommen und geheiligt oder nicht?«
Er ist es, dachte Romulus. Er ist ebenbürtig . Mit einem gewissen Befremden stellte er fest, daß er den Atem genauso anhielt wie die unwissende Menge, während er auf die Antwort seiner Mutter wartete.
Als Ilian den Mund öffnete, hätte man inmitten des inzwischen vor Menschen berstenden Platzes eine Nadel fallen hören können. »Die Götter haben dich angenommen und geheiligt - bis du dich von ihnen abwandtest. Nun ziehen sie dich dafür zur Rechenschaft, nach dem Gesetz unserer Vorfahren, das besagt, daß der König, dessen Herrschaft sich vollendet hat, mit seinem Rivalen um den neuen Zyklus kämpfen muß.«
»So ist es«, sagte die stämmige alte Frau, und der glatzköpfige Priester fiel ein: »Eine Zeit nähert sich ihrem Ende, und nur das Blut eines Königs kann unsere Geschicke noch wenden. Es wird heute vergossen werden, und die Entscheidung, ob es dein Blut sein wird, Arnth, oder das des Jungen von königlicher Abstammung, liegt in den Händen der Götter.«
»Also ein Zweikampf«, stellte Amulius fest und starrte wieder von Romulus zu Ilian.
Das mußte er vermutet haben, selbst wenn ihn Ilians Erscheinen und der Seitenwechsel der Priester überrascht haben mochten, also fragte sich Romulus, warum der König so eigenartig klang. Er hielt die Zeit für gekommen, die Dinge selbst wieder in die Hand zu nehmen, und verkündete:
»Ich beuge mich dem Urteil der Götter und bitte nur um die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit meines Anspruchs gegen den Thronräuber beweisen zu dürfen.«
»So sei es«, sagte Amulius hart. »Gebt ihm ein Schwert.«
Der König flüsterte einer der Wachen etwas zu, die daraufhin verschwand. Dann entledigte er sich des zeremoniellen Mantels, den er trug, der Tebenna, und stand schließlich in dem einfachen Gewand da, in dem er Romulus an diesem Morgen empfangen hatte. Einer der Krieger bot ihm Helm und einen Rundschild an, doch Amulius nahm nur den Schild und
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