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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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hassen. Ulsna verabscheute ihn und hatte das offen zum Ausdruck gebracht; wie kam Ulsna dazu, ihm jetzt Mitleid vorzuheucheln? Ein Mann, der sich so weit vergaß, daß er in seiner hündischen Treue für eine Frau, die noch nicht einmal die seine war, Weiberkleider anzog. Nicht zu vergessen die Geschichte mit dem Dolch. O ja, Ulsna verdiente es, gedemütigt zu werden.
    »Der Sieger hat das Recht auf die Früchte seines Sieges«, sagte Romulus hart. »Sag denen dort draußen, sie sollen mir ein paar Krüge Wasser bringen, wie heute morgen.«
    Ulsna schüttelte nur den Kopf und gehorchte. Doch er hatte offensichtlich noch nicht erkannt, worauf all das hinauslief, und bemerkte beiläufig, während sie auf die Krüge warteten: »Warum haben sie dich eigentlich heute morgen baden lassen, und noch dazu im Palast?«
    Mit einem Achselzucken entgegnete Romulus: »Eine weitere Familieneigentümlichkeit. Amulius wollte mich ordentlich verpflegt sehen, bevor er mich den Göttern opferte. Es sollte dir bekannt vorkommen. Sie ist auch immer besonders fürsorglich, ehe sie jemanden aus dem Weg räumt. Übrigens, von mir brauchst du das nicht zu befürchten.«
    »Aus dem Weg geräumt zu werden?« fragte Ulsna in einem gezwungenen Versuch, seine alte spöttische Überlegenheit weiterzuführen.
    »Fürsorglichkeit. Das ist, fürchte ich, deine Aufgabe.«
    Man brachte das Wasser und einige Tücher. Keiner der Diener schaute Romulus ins Gesicht, bis sie wieder verschwanden. Erneut bemühte er sich, ein Lachen zurückzuhalten.
    »Gut«, sagte er. »Du kannst anfangen.«
    »Anfangen?«
    Romulus begann sich des Chitons, der voll von seinem und Amulius’ Blut war, zu entledigen.
    »Mich zu waschen. Ich will, das du es tust.«
    Offenbar ging das über die Grenzen von Ulsnas geheucheltem Mitleid weit hinaus. »Mein lieber Junge, ich bin nicht dein Sklave.«
    »Doch. Genau das bist du. Denn siehst du, Ulsna, die Männer des toten Amulius mögen zwar in bezug auf mich ihre Rachsucht zurückhalten, weil sie an Ehre und Regeln glauben, aber für dich gilt das nicht. Wenn ich ihnen befehle, dich zu bestrafen - was glaubst du wohl, was sie dann mit dir machen?«
    Zufrieden registrierte er, wie Abneigung in Ulsnas Miene zurückkehrte, diesmal jedoch verbunden mit der Bitterkeit, die sich wohl aus der Erkenntnis speiste, daß Romulus diesmal der Mächtigere war.
    »Wenn deine Mutter tatsächlich hier wäre, würdest du ihr dann auch damit drohen?«
    »Wie ich schon einmal sagte, Ulsna, du hast ein beschränktes Vorstellungsvermögen. Wäre meine Mutter jetzt hier, dann gäbe es weit angemessenere Dinge zu tun. Im übrigen wird sie bald hier sein. Ich mag mich irren, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß ich weiß, wo sie ist und wo sie nicht mehr lange bleiben wird. Bei meinem Bruder Remus natürlich und unseren Leuten, vor den Stadtmauern.« Er schenkte Ulsna ein Lächeln. »Aber wenn du überleben willst, bis sie beide hier eintreffen, dann tu, was ich sage.«
    Diesmal war er darauf gefaßt, daß Ulsna ihm erneut mit dem Dolch käme, doch zu seiner Verblüffung tat der Barde nichts dergleichen. Statt dessen nahm er eines der Tücher, tauchte es in das Wasser, nahm das Stück Bimsstein, das mit den Krügen gebracht worden war, in die andere Hand und begann damit, Romulus abzuschrubben.
    Seit der Zeit, als er und Remus Kleinkinder gewesen waren, die im Schlamm zu spielen pflegten, hatte niemand dies für Romulus getan. Abgesehen von allem anderen, hätte er es auch gar nicht zugelassen. Es war ein eigenartiges Gefühl. Daß Ulsna sich nicht länger gesträubt hatte, raubte Romulus etwas von der Gewißheit, den Barden durch den Befehl zu demütigen. Er erinnerte sich daran, daß Ulsna in Ägypten ein Sklave gewesen war, genau wie sie . Vermutlich hatte er damals noch ganz andere Dinge tun müssen, als Leute zu reinigen, die er nicht mochte.
    Reinigen. Ganz gleich, wieviel Dreck und getrocknetes Blut Ulsna auch abrieb, es würde nichts ändern. Der Blick aus Amulius’ hervorquellenden Augen, die zuckende Berührung seiner Hand. Romulus hatte nicht erwartet, daß Amulius zu töten anders sein würde, als es bei den Kriegern gewesen war. Wer war Amulius, Arnth, König der Tusci von Alba? Sein Feind, der umgekehrt ihn genauso hatte töten wollen. Ein Opfer für das Volk. Um die Macht zu erhalten, wohl eher. Die Bande des Blutes waren nichts.
    Er merkte, daß ein Schauder seine Haut überzog, als übertrage sich das Zittern des sterbenden Amulius aus

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