Die Söhne der Wölfin
ehe er begriff, daß sein letzter Stich Erfolg gehabt hatte. Blut schoß aus der Kehle des Königs, und Amulius schnappte vergeblich nach Luft, während seine Augen aus den Höhlen quollen. Er erstickt, dachte Romulus, zog seine Klinge zurück und warf sie auf den Boden.
Der Körper, der sich halb unter, halb neben ihm befand, begann krampfhaft zu zittern und zu zucken, wie ein Fisch auf dem Trocknen. Es würgte ihn selbst in der Kehle. Seltsam, der Krieger, den er getötet hatte, um Remus zu retten, war unschuldiger gewesen als dieser Mann, und doch fehlte diesem so lang ersehnten Tod völlig das Gefühl der Genugtuung. Gerade jetzt wollte sich noch nicht einmal die Freude darüber einstellen, selbst am Leben zu sein. Die Hand des Mannes griff nach seiner, und Romulus verweigerte sie ihm nicht, obwohl er bezweifelte, daß es mehr war als der unbewußte Reflex eines Sterbenden.
Es dauerte nicht mehr lange. Bedeckt von Staub, Blut und Schweiß, raffte Romulus sich auf, erhob sich, nahm sein Schwert wieder an sich und streckte es zum Himmel. Es mußte seine eigene Stimme sein, die rief: »Der König ist tot«, doch er war sich nicht sicher, denn das Pochen seines Herzens übertönte alles andere.
»Menschen haben viel mit Wölfen gemeinsam«, sagte Romulus, als er das Gemach des Königs betrat, und hielt inne. Er hatte beabsichtigt, eine Bemerkung über die Treue des Rudels zu machen, wenn das Leittier verstorben war. Gemessen daran, daß Amulius bei seinen Kriegern beliebt gewesen sein mußte, fand Romulus es unglaublich, daß keiner der Männer versuchte, ihn umzubringen, nachdem er ihren Anführer getötet hatte. Daß sie ihn hingegen - nachdem die Hohepriester der drei wichtigsten Stadtgötter ihre Gebete über ihn und den Leichnam an seiner Seite gesprochen hatten - in den Palast eskortierten und nach seinen Befehlen fragten, erzürnte ihn fast. Doch die Gestalt, die er im Empfangsraum des verstorbenen Amulius erkannte, war nicht die, die er vorzufinden erwartet hatte.
»Wer…«, begann er, begriff und brach in Gelächter aus, Gelächter, das sich bald verselbständigte und seiner Beherrschung entglitt, bis ihm Tränen in den Augen standen. Es dauerte eine Weile, bis er sich zutraute, wieder zu sprechen.
»Wie hat sie das wieder gemacht«? fragte er und musterte die fremde und doch so vertraute Gestalt, »und wo steckt sie?«
Seine Meinung über die Fähigkeiten des durchschnittlichen Tusci-Kriegers sank noch einmal, während er auf seine Antwort wartete. Gut, sie kannten Ulsna nicht, aber sie hätten doch sehen müssen, daß es sich nicht um dieselbe Frau handelte, die vor aller Augen zum König gesprochen hatte. Die Ähnlichkeit war bestenfalls oberflächlich. Nicht, daß er selbst darauf gekommen wäre, daß Ulsna eine glaubhafte Frau abgäbe. Das war etwas, worüber es sich später nachzudenken lohnte, zusammen mit dem, was ihm der nichtsahnende Remus erzählt hatte.
»Sie hatte vermutlich kein Vertrauen«, erwiderte Ulsna ruhig, »daß die Priesterschaft sie auch beschirmen würde, wenn du den Kampf verlierst. Oder, um die Dinge beim Namen zu nennen, in deine eigenen Absichten. Wie dem auch sein mag, sobald der Kampf losging und alle Augen auf dich gerichtet waren, ging ich wie verabredet zu ihr, und wir tauschten die Plätze. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen, und ich hatte auch keine Gelegenheit, nach ihr zu suchen, weil noch vor dem Ende des Kampfes ein kleiner Trupp Krieger aus dem Palast auftauchte. Wie es scheint, hatte Arnth den gleichen Einfall, die Ablenkung der Menge für seine Zwecke zu nutzen. Und nein, die Priesterschaft machte keine Anstalten, sich für sie in die Bresche zu werfen. Man war wohl der Meinung, daß sie ihren Nutzen erfüllt hätte.«
Romulus nickte, ging an Ulsna vorbei und warf sich auf die breite Sitzliege. Es war ihm bewußt, daß er Flecken auf dem edlen Stoff hinterlassen würde. Gut. Im Moment hatte er das Bedürfnis, die ganze Welt zu zeichnen, so wie er selbst gezeichnet war.
»Sie denkt eben an alles. Auch an dich, Ulsna? Ich meine, Amulius hätte befehlen können, sie sofort umzubringen, statt sie für ein späteres Gespräch zurückzuhalten.«
Ulsna entgegnete nichts.
»Weißt du, was ich heute getan habe?« fragte Romulus.
»Was du tun mußtest«, gab Ulsna leise zurück. »Du hast einen König getötet.«
»Ja. Das auch.«
Der Blick, den Ulsna ihm zuwarf, war so eindeutig mitleidig, daß Romulus sich sofort daran erinnerte, diesen Barden zu
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