Die Söhne der Wölfin
Gefährten dann so schnöde hinauswarf.
»Weil du ein anständiger Mann bist, der die Hilflosen schützt«, erwiderte das Mädchen jetzt knapp, »und nicht willst, daß ich dich verfluche.«
Arion wollte fragen, warum sie nicht die Götter um Schutz gebeten hatte, doch seine Unterlippe war aufgeplatzt, und er beschloß, jedes weitere Wort nur zu sprechen, wenn es wirklich nötig wäre. Immerhin schien dem Jungen klar zu sein, was sich ziemte; er warf sich vor Arion auf die Knie und sagte in einem Griechisch, das er am Hafen gelernt haben mußte, und das nach einem gräßlichen Mischmasch aus allen Dialekten klang:
»Dankbar ich sein mein Leben lang. Ulsna euch schuldet.«
Arion brummte nur. Das Mädchen hatte anscheinend einen Wassereimer entdeckt, denn sie tupfte ihm mit einem nassen Stoffetzen das Gesicht ab. Die kühle Feuchtigkeit und der Anblick, den er dabei genießen durfte, besänftigten ihn etwas, und er seufzte. Plötzlich hielt sie inne, und ehe er entscheiden konnte, ob die Aufforderung weiterzumachen, mehr Schmerzen an der Lippe lohnte, sah er es ebenfalls. Das blendende Leuchten eines Blitzes und, nachdem er stumm bis drei gezählt hatte, Donnergrollen.
Das Gewitter hatte begonnen.
Dank der nächtlichen Wolken, die Mond und Sterne verbargen, konnte er die Miene des Mädchens nicht mehr richtig erkennen. Nach einer Weile spürte er wieder ihre Hand mit dem feuchten Stoff auf seinem Gesicht, dann an seiner aufgeschrammten linken Schulter. Sie sagte etwas zu Ulsna, und der Junge löste ihm die Sandalen von den Füßen. Seit er das Haus seiner Familie verlassen hatte, war er nicht mehr so gewissenhaft gepflegt worden. Es erinnerte ihn angenehm an seine Kindheit und die ersten Tage seiner Ehe, als sein Vater noch am Leben gewesen war und seine Frau ihn noch wie einen Gott behandelt hatte.
Ulsna und das Mädchen schwatzten ein wenig in ihrer eigenen Sprache, dann teilte sie ihm mit, Ulsna sei der Lehrling eines Barden gewesen, der im vergangenen Winter gestorben sei, und habe seither seinen Lebensunterhalt selbst verdienen müssen, weswegen er auch nicht gegen den Phönizier habe angehen können - er dürfe seine Hände nicht gefährden.
»Morgen«, schloß sie, »werden wir mein Bündel und Ulsnas Harfe aus der Schenke holen. Ich weiß nicht, wie lange meine Drohungen den Wirt davon abhalten werden, beides zu veräußern, aber ein paar Stunden wird es wohl hoffentlich dauern, und hier werden die Sachen dann sicher sein.«
Arion richtete sich protestierend auf, nur um von dem Mädchen und Ulsna wieder auf seine Matte gedrückt zu werden.
»Bewege dich nach Möglichkeit nicht«, sagte das Mädchen. »Du brauchst morgen deine Kraft, wenn wir die Händler besuchen. Da solltest du so eindrucksvoll wie möglich für sie aussehen.«
Arion öffnete den Mund und schloß ihn wieder, während erneutes Donnergrollen ihre Worte untermalte. Er hatte sich noch nicht einmal wirklich einverstanden erklärt, sie an Bord zu nehmen, und nun wollte sie auch noch einen nutzlosen, nur halbausgebildeten Barden hier einquartieren?
Nur für eine Nacht, tröstete er sich. Ja, er brauchte seine Kraft für den nächsten Morgen. Um wieder geordnete Verhältnisse herzustellen. Bis dahin lohnte es sich nicht, die beiden Rasna, die sich so vorbildlich um ihn bemühten, darauf aufmerksam zu machen, daß er sie bald hinauswerfen würde. Die Wachen glaubten ohnehin schon, daß er sie nur zu seinem Vergnügen an Bord gebracht hatte, und die Annahme, er würde die beiden Rasna eine ganze Nacht lang auf Trab halten, war allenthalben schmeichelhafter als das Eingeständnis, Prügel von einem Phönizier eingesteckt zu haben.
Erste schwere Tropfen erinnerten ihn daran, daß es an der Zeit war, mit den Wachen unter dem herabgelassenen Segel Schutz zu suchen; Sorgen um seinen Ruf waren zweitrangig. Die Kassiopeia war ein kleines, gewöhnliches griechisches Handelsschiff, offen, ohne ein Deck, wie es die wuchtigen assyrischen und phönizischen Schiffe mittlerweile besaßen. Regen auf See war auszuhalten, doch er hatte gehofft, während seiner Landtage bei solchem Unbill in einer gut abgedichteten Schenke zu sitzen. Arion warf seinen Gefährten einen grollenden Blick zu, der im Dunkel wirkungslos an ihnen abprallte, dann gab er den Wachen die notwendigen Anweisungen.
Während sie bald alle unter dem schweren Leinentuch kauerten, schickte Arion in Gedanken ein erneutes Gebet an Poseidon. Wenn das Mädchen tatsächlich hielt, was es
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