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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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als er mit seinen selbsteingeladenen Gästen das Schiff verließ, damit die Wachen auch weiterhin die richtige Vermutung hegten. Danach trennten sich ihre Wege.
    Als der Nethuns-Tempel in Sicht kam, fiel ihm ein, daß es sich bei den beiden um ein Diebespärchen handeln mochte, das vertrauensselige Seeleute ausnahm, und er dachte daran umzukehren, um seine Habseligkeiten zu überprüfen. Dann rief er sich ins Gedächtnis, daß sie bis auf die Datteln nichts in den Händen gehalten hatten, als sie verschwanden, und nicht genügend am Leib trugen, um darin viel zu verbergen. Dennoch war sein Verhalten unverantwortlich und leichtsinnig gewesen. Er hätte jeden seiner Leute dafür bestraft.
    Den ganzen Weg den Berg hinauf haderte Arion mit sich und sagte sich dann wieder, daß es sich bei den ganzen merkwürdigen Ereignissen eindeutig um Zeichen der Götter handelte, die zu vernachlässigen vermutlich noch törichter gewesen wäre. Als er etwas außer Atem den Gipfel des Berges erreichte, blieb er stehen, um Luft zu holen. Das erste, was er hörte, war das erbärmliche Blöken eines Schafs. Er kniff die Augen zusammen und machte in der Morgendämmerung vier Männer aus. Zwei hielten das Schaf fest, einer schwenkte irgendwelche Zweige und einen steinernen Keil, und der vierte, der in Rot gewandet war, hielt ein Messer in der Hand. Es dauerte nicht lange, und er hatte dem Schaf die Kehle aufgeschlitzt, während die übrigen unverständliche Gesänge anstimmten. Keiner von ihnen machte sich die Mühe, sich zu Arion umzudrehen. Entweder hatten sie ihn tatsächlich nicht bemerkt, oder sie waren diszipliniert genug, um sich nicht von ihm stören zu lassen.
    Arion war nicht dumm, und er wußte, wann er geschlagen war. Zweifellos handelte es sich um die Entsühnungszeremonie für einen Blitzschlag, von der das Mädchen - Ilian - gesprochen hatte. Er sah noch zu, wie der Priester mit dem Messer einen großflächigen Kreis rund um das tote Schaf in die Erde grub und die übrigen begannen, den Boden auszuheben, dann wandte er sich ab und machte sich auf den Rückweg in die Stadt.

    Es war ein Vergnügen, Ilian beim Verhandeln zu erleben. Einerseits erinnerte sich Arion ständig daran, daß eine Frau nicht so gebieterisch mit Männern umzugehen hatte, doch andererseits genoß er das Schauspiel, da er sich wegen der vorgetäuschten Verständnislosigkeit der hiesigen Händler schon oft genug die Haare gerauft hatte. Nachdem er ihr einmal den Bestand seiner Waren und das, was ihm als Gegenleistung dafür vorschwebte, mitgeteilt hatte, brauchte er wenig mehr zu tun, als die Arme zu verschränken und überlegen zu wirken, während er so tat, als verstünde er jedes hochmütige Wort, das sie an die Händler richtete.
    Er mußte zugeben, daß sich auch Ulsna als nützlich erwies. Ilian hatte sich ein anderes Kleid angezogen, die Haare neu gebürstet und gelegt, aber was für die anderen ihre Stellung noch unterstrich, war Ulsna als Diener, der ihr mit einer Art Palmenwedel folgte und ihr frische Luft zufächerte. Dennoch nutzte er die Gelegenheit, die sich bot, als Ulsna einem menschlichen Bedürfnis nachging, um mit Ilian ein ernstes Wort wegen des Jungen zu reden.
    »Hör zu«, sagte er, »unsere Vereinbarung steht, und ich glaube sogar, mir ist eingefallen, wie ich dafür sorgen kann, daß die Männer dich nicht als Schiffshure betrachten. Aber von dem Knaben war keine Rede.«
    Sie lehnte sich gegen die Wand eines grüngestrichenen, würfelförmigen Hauses, in dessen Schatten sie auf Ulsna warteten.
    »Er hat mir erzählt, daß er ebenfalls nach Hellas will. Er ist auch bereit, für seine Überfahrt auf dem Schiff zu arbeiten.«
    »Ja«, schnaubte Arion, »aber nichts, wobei er seine Hände verletzen könnte. Und sobald sich ein paar von den Männern zu einsam fühlen, haben wir einen Hahnenkampf um ihn statt um dich auf der Kassiopeia. Nein, danke.«
    Es gelang ihr schon wieder, ihn aus der Fassung zu bringen, diesmal, indem sie ihn erst verdutzt anstarrte und dann tief errötete. Er verstand es nicht. Sie war nicht einmal zusammengezuckt, als er das Wort »Hure« im Zusammenhang mit ihr verwendete. Was machte sie, jetzt so verlegen?
    »Du meinst«, stotterte sie und erinnerte ihn mit einemmal an ein Kind, »es gibt wirklich Männer, die... das ist nicht nur ein Gerücht über euch Griechen?«
    Arion fragte sich, wo sie bisher gelebt hatte. So rückständig konnten die Rasna doch gar nicht sein, und nach allem, was man sah, schirmten

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