Die Söhne der Wölfin
dienen und zu lernen.«
»Fremde Götter«, erklärte die Herrin abweisend, »kümmern uns hier nicht. Sie besitzen keine Macht in Ägypten.«
»Bist du sicher?« fragte Ilian mit etwas weniger Ehrerbietung. »Warum herrschen dann seit drei Generationen nur noch Fremde in Ägypten?«
Die Augen der Herrin verengten sich. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite und begann, langsam um Ilian herumzugehen, die sich dabei nicht vom Fleck rührte.
»Ich könnte dich auspeitschen lassen«, sagte die Ägypterin gedehnt.
»Das könntest du«, stimmte Ilian zu, und Ulsna spürte, wie seine Handflächen feucht wurden. »Und du wirst noch oft Gelegenheit dazu haben, denn ich biete meine Dienste nicht an wie die griechischen Söldner, die sich herausnehmen zu gehen, wann sie wollen. Ich möchte mich für zwei Jahre an dich verkaufen, mit einem Vertrag, wie es hier üblich ist.«
Als die Seeleute von dieser speziellen ägyptischen Sitte erzählt hatten, waren sie bei Ulsna auf Unglauben gestoßen. Wenn jemand so verzweifelt und verarmt war, sich freiwillig in die Sklaverei zu verkaufen, was hinderte dann den neuen Herren daran, den Unglücklichen auf ewig als Sklaven zu behalten? Ein »Vertrag«? Zeichen auf Papyrus oder Ton? Lächerlich. Doch die Ägypter versicherten, dergleichen sei üblich und die Verträge würden eingehalten.
»Zwei Jahre, wie?« entgegnete die Ägypterin und klang aufrichtig belustigt. »Hat man dir nicht gesagt, daß solche Verträge in der Regel auf 99 Jahre ausgestellt werden und damit auch noch für die Nachkommen gelten, weil kaum ein Sklave so alt wird?«
Ilian gestattete sich ebenfalls ein leichtes Lächeln. »Das mag wohl sein, doch ich bin nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Meine Götter haben mich geschickt, um hier zu lernen, zu dienen und dir, Herrin, zu helfen. Gewiß sind sie nicht so mächtig wie deine Götter. Es mag aber sein, daß sie es mit den Göttern anderer Fremder sehr wohl aufnehmen können. Und«, schloß sie, nun wieder voll Ehrerbietung, »eine gute Schreiberin ist immer nützlich, selbst in einer anderen Sprache.«
Auch das hatte Ulsna nicht einleuchten wollen, als sie ihm ihren Plan erläuterte. Wenn die Frau eines Fürsten Schreiber benötigte, dann doch gewiß nur solche, die in der Landessprache Dokumente für sie verfassen konnten.
»Iolaos sagte, der Fürst von Sais beschäftige griechische Söldner«, hatte Ilian eingewandt. »Außerdem regiert er über eine Hafenstadt, die auch vom Handel mit den Griechen lebt. Es kann ihm nur nützen, jemanden zu beschäftigen, der Griechisch spricht und schreibt, aber nicht zu den Griechen gehört, so daß dessen Treue nur ihm gilt.«
Daß ihnen der Haushofmeister gleich zu Anfang erklärt hatte, sie müßten sich mit solchen Dingen an die Herrin, nicht an den Herrn wenden, war eine Überraschung gewesen, doch eine angenehme. Bereits in den Straßen war ihnen aufgefallen, daß es, anders als in den griechischen Städten, nicht an Frauen mangelte und daß ihnen keiner einen zweiten Blick schenkte.
»Mag sein, daß ich mich in die Sklaverei verkaufe«, hatte Ilian ihm zugeflüstert, »doch zumindest werde ich hier nicht ständig mit gesenkten Augen herumlaufen müssen. Und wenn eine Frau in dem Haus das Sagen hat, dann besteht auch keine Gefahr, daß sie mir unweibliches Verhalten vorwirft.«
Unweibliches Verhalten vielleicht nicht, dachte Ulsna jetzt, während er die Fäuste ballte, sich zwang, ruhig zu bleiben, und hoffte, daß sie bei einem Hinauswurf nicht trotzdem vorher noch verprügelt werden würden . Aber so, wie sie dich ansieht, wird sie dich für deine Anmaßung noch büßen lassen, und du willst ja unbedingt freiwillig auf alle Rechte verzichten . Er wußte nicht, ob er Ilian Erfolg wünschen sollte oder nicht.
»Eine gute Schreiberin«, meinte die Ägypterin trocken, »müßte vor allem in meiner eigenen Sprache schreiben können, und du bist noch nicht einmal in der Lage, sie richtig zu sprechen.«
»Herrin, ich lerne schnell. Außerdem will ich als Entgelt für meine zwei Jahre nicht mehr als ebendies: eure Sprache schreiben zu lernen.«
»Nun, dieser Preis besitzt immerhin den Vorzug, neu zu sein. Woher, sagtest du, stammst du?«
Ilian, die noch überhaupt nichts Derartiges gesagt hatte, verzichtete auf eine Berichtigung und entgegnete, sie sei eine Rasna aus dem Land jenseits der Tyrrhenischen See.
»Das Land ist mir unbekannt«, bemerkte die Herrin. »Ist es Assur oder Nubien
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