Die Söhne der Wölfin
Grunde auf das gleiche hinaus. Wenn man sich befreien wollte, dann war es belanglos, was auf irgendeinem Dokument stand; welche Art von Wachen vorhanden waren würde eine größere Rolle spielen.
Die Wachen vor dem Palast der Herrin Nesmut und ihres Gemahls Necho, den Ulsna erst einige Wochen später zu sehen bekam, trugen wie viele Leute auf der Straße nur einen Lendenschurz, aber dafür Ketten, Armbänder und Halsbänder aus Muscheln, Kupfer und gelegentlich auch aus grünen und blauen Steinen. Es mußte eine ägyptische Eigenschaft sein, sich mit so vielen Dingen wie möglich zu behängen. Er wußte nicht, ob er es aufdringlich oder schön fand.
Man brachte ihn und Ilian nicht im selben Quartier unter, und das versetzte Ulsna in höchste Unruhe. Nicht nur, weil er nun mit fünf weiteren Fremden, deren Sprache er nur mühsam verstand, in einem Raum lebte, sondern weil es in dieser engen Umgebung nur eine Frage der Zeit war, bis einer von ihnen sein Geheimnis entdeckte. Er beschloß deshalb, tollkühn zu sein und es gleich zu offenbaren, statt sich durch die Warterei verrückt zu machen. Zu seiner großen Überraschung schauten die anderen Sklaven nicht abgestoßen, sondern beeindruckt drein, und nach einigem Hin und Her verstand er, daß Zwiegeschlechtlichkeit in diesem Land als besondere Gnade der Götter galt. Als die Herrin Nesmut ihn zum ersten Mal zu sich rufen ließ, um für sie zu spielen, sprach sie ihn darauf an.
»Du bist also ein Lotoskind«, begann sie ohne Umschweife. »Hast du schon deinen Segen gegeben?«
So höflich als möglich brachte er zum Ausdruck, daß er nicht verstand, was sie meinte. Sie seufzte ungeduldig, murmelte etwas über unwissende Fremde und erklärte, der Gott Re sei aus dem Chaos Nun geboren worden, im Kelch einer Lotosblume, als Mann und Frau in einer Gestalt, und habe das Land gesegnet, in dem er seinen Samen ergossen und so aus sich selbst die Götter Shu und Tefnut geschaffen habe. »Der erste Samen eines Lotoskinds, das von Re gezeichnet wurde«, schloß sie, »bringt dem Empfänger und seinem Haus daher Glück und Fruchtbarkeit. Wie steht es also um den deinen?«
In seinem Leben hatte er sich noch nicht so verlegen gefühlt. Mit flammenden Wangen und blutrot brachte er schließlich hervor, nein, er habe noch keinen »Samen vergossen«.
»Gut«, sagte Nesmut zufrieden. »Wir werden darauf zurückkommen. Sieh zu, daß es so bleibt. Und nun spiel; ich möchte hören, was ich erworben habe.«
Als er später darüber nachdachte, schwand seine Verlegenheit und wurde allmählich von Ärger ersetzt. Es lag nicht so sehr an der Direktheit der Herrin; auf Arions Schiff und in den Hafenstädten hatte er Gröberes an den Kopf geworfen bekommen. Doch sie sprach von seinem Körper, als gehöre er ihr, als sei er nur ein Instrument, ein Talisman, ein Gebrauchsgegenstand. Als Ulsna Ilian fand, um mit ihr darüber zu reden, erntete er zuerst nur ein Achselzucken.
»Willkommen in der Welt der Frauen«, sagte Ilian dann mit einer kleinen Grimasse, als er sie empört anschaute. »Wenn du als Mädchen aufgewachsen wärst, dann hättest du das schon öfter erlebt. Der Körper meiner Mutter gehörte meinem Vater und diente ihm dazu, seine Kinder in die Welt zu setzen, doch während sie das tat, ekelte ihn ihr Anblick an. Meinen Körper haben zuerst die Götter benutzt, und dann ist er einem Fremden gegeben worden, der damit tun konnte, was ihm beliebte. Er war ein guter Mann, aber daß etwas Unrechtes daran sein könnte, kam ihm nie in den Sinn. Prokne vermietet ihren Körper und erwirbt sich damit ein einigermaßen freies Leben, und so gehört er ihr auch nicht. Ich finde mehr und mehr«, endete sie, »daß die Sklaverei nichts Neues hat, wenn man eine Frau ist. Und das sind wir. Sklaven.«
Mit einer zarten Geste, die im Gegensatz zu ihren heftigen Worten stand, strich sie ihm eine Haarlocke aus der Stirn, die ihm über das rechte Auge gefallen war.
»Das weißt du doch. Du wußtest, was es bedeuten würde, als du mich hierher begleitet hast.«
»Nicht in allen Einzelheiten«, gab Ulsna störrisch zurück. »Und ich wette, du hast es auch noch nicht richtig begriffen. Wenn sie glaubt, sie kann mich irgendwann als Segen benutzen, was meinst du denn, was sie mit dir machen will?«
Erneut zuckte Ilian die Achseln. »Was auch immer ihr beliebt. Sie kann nichts tun, was nicht schon getan worden ist. Erzähle mir noch einmal, was sie über den Lotos sagte. Ich muß die Götter hier besser
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