Die Söhne.
erklärt habe, der Aufstand sei liquidiert und das Land befriedet, trotzdem aber noch heute fortfahre, Juden wegen der Teilnahme am Aufstand unter Anklage zu stellen und ihre Güter zu konfiszieren. Diese Argumentation der Doktoren höre sich gut an. Aber die Römer hätten nun einmal die Macht, und wenn die Doktoren die Konfiskationen nicht anerkennten, so laufe das in der Praxis auf eine kindische, ohnmächtige Zorneskundgebung hinaus, deren Folgen sich nur gegen die Juden selber kehrten. Die Doktoren könnten ebensogut erklären, sie anerkennten nicht die Zerstörung des Tempels. Daß die Juden die Güterauktionen boykottierten, bewirke nur, daß Syrer und Griechen die Terrains zu noch niedrigeren Preisen einsteigerten. Der Großdoktor erwürbe sich zu seinen vielen Verdiensten um das Land ein neues, wenn er das Kollegium bestimmte, sich endlich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, statt in theoretischem Nationalismus zu schwelgen.
»Sie haben sicher recht, mein Herr Johann«, erwiderte der Großdoktor, stand auf, bat die Herren, sitzen zu bleiben, und ging auf und ab, wie es seine Gewohnheit war. »Aber Sie kennen ja die Mentalität meiner Doktoren. Sie sind störrisch wie Ziegenböcke. Sie anerkennen die Zerstörung des Tempels wirklich nicht. In jeder zweiten Sitzung führt einer in einer langen Rede aus, der Verlust der Souveränität sei nur ein Zwischenstadium, und es sei verfehlt, diesen temporären Zustand, das heißt die römische Herrschaft, durch Bestimmungen des Religionsgesetzes zu legalisieren. In jeder dritten Sitzung wird mit Aufwand von ungeheuer viel Geisteskraft darüber diskutiert, ob und wie der Opferdienst im Tempel von Jerusalem zu regeln sei, obwohl doch dieser Opferdienst nicht mehr existiert. In jeder vierten entstehen heftige Kontroversen über die Modalitäten der Exekution durch Steinigung, trotzdem wir doch keine Kapitalgerichtsbarkeit mehr haben. Meine Doktoren finden nun einmal, wir anerkennten die Konfiskation der Güter als zu Recht, wenn wir die Teilnahme an den Auktionen gestatteten: ein solches Verhalten aber wäre Verrat an Jahve und am jüdischen Staat. Wenn ich mir manchmal erlaube, die Herren sanft darauf hinzuweisen, daß dieser Staat doch de facto nicht existiert, errege ich Unwillen. Für sie genügt es, wenn er de jure existiert.«
»Aber die Syrer und Griechen«, ereiferte sich Johann, »lachen und stecken unsere Güter für ein trockenes Johannisbrot in den Ärmel. Ich rede nicht für mich selber. Ich persönlich habe nur Vorteile von der bisherigen Regelung; denn ich habe an den verbotenen Auktionen teilgenommen und werde weiter daran teilnehmen.«
»Um Gottes willen«, unterbrach ihn der Großdoktor und lachte mit all seinen großen Zähnen, »lassen Sie mich das nicht hören. Es ist mir natürlich bekannt. Immer wieder laufen Klagen bei mir ein und Anträge, Sie in Bann zu tun. Aber da stelle ich mich auf den De-jure-Standpunkt meiner Doktoren und nehme das Faktum nicht zur Kenntnis. Wenn die Herren davon anfangen, werde ich taub, ich höre einfach nicht, und solange ich nicht höre, existiert das Faktum de jure nicht.« Groß, stattlich, lachend stand der junge Herr, an den Türpfeiler gelehnt, vor seinen beiden Gästen. »Ich bin eben ein Despot«, scherzte er.
»Seien Sie Despot genug«, sprach Johann von Gischala auf ihn ein, »um das Land vor weiterer Verwüstung durch die Ideologie der Doktoren zu retten.«
»Ich freue mich«, erwiderte ernsthafter der Großdoktor, »daß Sie gekommen sind, um mir die Lage mit kräftigen Worten auseinanderzusetzen. Ich habe Ihr Memorandum noch nicht ganz durchgearbeitet; Sie bringen viele Ziffern und Statistiken, die ernstlich überdacht sein wollen. Aber ich danke Ihnen von Herzen, daß Sie mir soviel beweiskräftiges Material an die Hand geben. Es wird freilich lange dauern, fürchte ich, ehe ich jene Bestimmung aus der Welt schaffen kann. Sie wissen, wie umständlich mein Kollegium arbeitet. Jeder will seinen Standpunkt zehnmal darlegen und sich vor sich selber, vor ganz Israel und vor Gott salvieren. Wenn wir Glück haben, kann ich die Abschaffung der Bestimmung in einem Jahr durchsetzen.«
Allein der Großdoktor hatte zu schwarz prophezeit. Ein unvorhergesehenes Ereignis ermöglichte ihm, das Gesetz, das er für so verderblich hielt, viel rascher zu annullieren.
Es hatte sich nämlich herumgesprochen, zu welchem Zweck der Bauernführer Johann von Gischala in Jabne erschienen war.
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