Die Söhne.
erhoben, auf der andern Titus auf dem Triumphwagen. Schon gibt ihm die Wölbung des Bogens den Blick frei auf das Capitol, das sich am andern Ende des Heiligen Weges erhebt, dem Jupiter errichtet von dem Geld der unterworfenen Juden: Rom triumphiert über Judäa.
In diesem Augenblick gewahrt er, und zwar auf der Tribüne vor dem schmalen Gebäude der Neuen Münze, das Gesicht seines Sohnes Paulus. Sogleich wieder war es untergetaucht in der Flut der andern Gesichter. Aber Josef hatte es deutlich gesehen, bräunlichweiß, dünn, fast durchsichtig schimmernd, dabei verzerrt von Haß und Verachtung. Auch daß Paulus gegen seine Gewohnheit den Mund weit aufriß, hatte er gesehen. Ja, so ist es, sein Sohn Paulus schreit wie die andern. Nein, nicht wie die andern. Die jauchzen: »O du sehr guter, sehr großer Kaiser und Gott Titus.« Sein Sohn Paulus aber, Josef weiß es genau, schreit: »Mein Vater der Lump, mein Vater der Hund«, und sein Gesicht ist entstellt und scheußlich.
Josef steht vor dem Bogen. Für einen Augenblick setzt das Geschrei ringsum aus; der Zug selber und die Tausende von Zuschauern sind erstarrt in Erwartung. Ein unzähmbarer Drang packt Josef, nicht weiterzugehen, umzukehren, sein Schreibzeug dem Zwerg in die häßliche Fratze zu schlagen. Gott hat verlangt, denkt es in ihm während dieses endlos langen Augenblicks, daß Abraham seinen Sohn opfere. Seinen Sohn opfern, das kann man. Aber so handeln, daß das Gesicht des eigenen Sohnes sich verzerrt wie dieses da, das geht über die Kraft, das darf man keinem Vater zumuten. Nein, denkt es in ihm, ich kann das nicht. Ich brenne ja am ganzen Leib, und vor mir ist Feuer, und hinter mir ist Wasser, und ich gehe nicht weiter, und jetzt kehre ich um.
Unsinn. Woher will ich denn wissen, was Paulus geschrien hat? Er hat geschrien, weil die andern geschrien haben, und jedes Gesicht verzerrt sich beim Schreien. Ich rede mir was ein, weil ich eine Ausflucht haben, weil ich umkehren will. Großartig wäre das ja, umkehren. Labsal und Kühlung wäre es, süß und ehrenvoll wäre es.
Verbrecherisch unvernünftig wäre es, ruft er sich scharf zurück. Es ist nicht leicht, vernünftig zu sein, und es bringt keinen Dank. Aber die Vernunft ist Gottes erstgeborenes Kind, und ihr hange ich an.
Und der Weltbürger Josef Ben Matthias, genannt Flavius Josephus, wissend, daß er die Achtung der Römer und der Juden für immer zertritt und für immer die Liebe seines Sohnes Paulus, nahm sein Herz in beide Hände, riß seinen Willen zusammen und tat den letzten Schritt. Neigte, wie es Vorschrift war, tief das verhüllte Haupt, führte die Hand zu dem bärtigen, jüdischen Mund, warf dem Bild des vergotteten Titus den Kuß zu und ging durch die Wölbung des Bogens, über sich und zu beiden Seiten die triumphierende Göttin Rom, den Siegeswagen des Kaisers, die schimpflich gefangenen Juden.
Und hinter ihm der Zwerg Silen ahmte jede seiner Bewegungen nach.
Hier endet der zweite der drei Romane über den Geschichts schreiber Flavius Josephus.
Der Roman »Josephus« sollte ursprünglich nur zwei Teile umfassen. Der zweite, abschließende Band war im Jahr 1932, als ich den ersten veröffentlichte, bis zu seinem Ende entworfen und zu einem großen Teil ausgeführt.
Als aber im März 1933 die Nationalsozialisten mein Haus in Berlin plünderten, vernichteten sie das ausgeführte Manuskript dieses Schlußbandes sowie das vorhandene wissenschaftliche Material.
Den verlorenen Teil in der ursprünglichen Form wiederherzustellen erwies sich als unmöglich. Ich hatte zu dem Thema des »Josephus«: Nationalismus und Weltbürgertum manches zugelernt, der Stoff sprengte den früheren Rahmen, und ich war gezwungen, ihn in drei Bände aufzuteilen.
L.F.
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