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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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meiner Herren hat einmal ein großes Projekt der Gegenpropaganda ausgearbeitet. Überall, wo Minäer ihre Lehre verkünden, sollten ihnen Wanderprediger von uns mit Argumenten der Vernunft entgegentreten. Er versprach sich besonders viel von dem Nachweis, daß der Prophet der Minäer, Jesus der Nazarener, überhaupt nicht existiert habe.« – »Und?« fragte gespannt Josef. Der Großdoktor lachte: »Ich habe selbstverständlich den naiven Herrn mit seinem Projekt nach Hause geschickt. Einer Volksversammlung, einer Versammlung von Gläubigen und Glaubenshungrigen, kann man doch nicht mit Argumenten der Vernunft kommen. Was die Minäer behaupten, hat nichts mit Vernunft zu tun, es ist jenseits der Vernunft, es ist mit logischen Argumenten weder beweisbar noch widerlegbar. Es interessiert diese Christen nicht, ob es aktenmäßige Beweise für die Existenz ihres Christus gibt. Da sie entschlossen sind, an ihn zu glauben, brauchen sie sie nicht. Schauen Sie sich den Mann an, der jetzt in Syrien aufgestanden ist und erklärt hat, er sei der tote Kaiser Nero. Seine Anhänger wollen glauben, Nero lebe: und siehe, er ist nicht tot. Zehntausende fallen ihm zu, der Gouverneur hat schon eine ganze Legion aufbieten müssen, um ihn zu bekämpfen.«
      »Es ist merkwürdig«, überlegte Josef, »daß so viele sich weigern, das anzunehmen, was man ihnen sichtbar machen kann, aber blindlings glauben, was offenkundig nicht existiert hat.«
      »Sie können nicht einmal so glatt behaupten, Doktor Josef«, meinte nachdenklich Gamaliel, »daß jener Jesus von Nazareth nicht existiert habe.« Und da Josef überrascht hochsah, fuhr er zögernd fort: »Erinnern Sie sich an den Prozeß, den damals der Erzpriester Anan gegen jenen falschen Messias Jakob und seine Genossen führte?« – »Gewiß«, erwiderte Josef. »Der Fall an sich war nicht weiter interessant. Ich glaube auch, es ging dem Erzpriester damals nicht um diesen falschen Messias; er wollte nur das Interregnum zwischen dem Tod des Festus und der Ernennung des neuen Gouverneurs benutzen, um die autonome religiöse Gerichtsbarkeit wiederherzustellen.«
      »Es wäre besser gewesen«, sagte der Großdoktor, »er hätte diesen Versuch nicht unternommen.« – »Ja«, meinte Josef, »er ist gründlich mißglückt, und der Erzpriester hat ihn teuer bezahlen müssen.«
      »Das meine ich nicht«, sagte langsam, ungewohnt zögernd, der Großdoktor. »Aber je länger ich es überdenke, um so mehr bin ich überzeugt: ohne diesen Prozeß existierte der Messias der Minäer nicht.«
      »Sie müssen noch ein Knabe gewesen sein«, überlegte Josef, »als jener Prozeß geführt wurde.« – »Ja«, erwiderte der Großdoktor, er sprach immer noch ungewohnt langsam, »aber ich kenne die Akten. Als mich der Erzpriester in das Geheimnis des Gottesnamens einweihte, ließ er mich auch in die Protokolle dieses Prozesses Einsicht nehmen.« – »Wollen Sie mir nicht mehr darüber sagen?« bat Josef. Sein Historiker-Interesse war wach geworden, und das Zögern des sonst so sichern und lebhaften Gamaliel schürte es noch mehr.
      Der Großdoktor schwankte. »Ich habe noch mit keinem Menschen darüber gesprochen«, sagte er bedenklich. »Hat es Sinn, nach der Entstehung des Minäerglaubens zu forschen? Es führt nicht weiter.« Und halb scherzend, halb ernsthaft zitierte er die Schlußverse des Kohelet: »›Laß dich warnen, mein Sohn. Des vielen Büchermachens ist kein Ende, und vieles Studieren reibt den Menschen auf.‹« Josef, sehr neugierig jetzt, doch beklommen durch die Bedenklichkeit des Großdoktors, drängte weiter in ihn: »Warum halten Sie mir diese Verse vor? Sie wissen doch, daß sie gefälscht sind. Und denken Sie so gering von der Wissenschaft?« – »Ich wollte Sie nicht kränken«, begütigte der Großdoktor. »Aber wir täten wahrscheinlich besser, diesen unseligen Prozeß zu vergessen.« – »Jetzt haben Sie einmal davon begonnen«, drängte Josef weiter, mit steigender Neugier und steigender Beklommenheit.
      »Ich denke«, entschloß sich endlich Gamaliel, »der Fall des Tempels hat die Pflicht des Geheimnisses gelöst, und ich darf Sie hineinschauen lassen in das, was damals geschah.
      Jener Jakob«, begann er zu berichten, »war also mit seinen Genossen – ob ein Jesus darunter war, kann ich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen – in den Tempel eingedrungen und hatte die Kaufleute behelligt, die dort mit Opfergegenständen handelten. Er berief sich darauf,

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