Die Söhne.
Loch, dann rinnt die Lehre aus und verströmt. Ich dulde keine Durchlöcherung des Gefäßes. Ich bin nicht der Narr, jemandem seinen Glauben vorschreiben zu wollen: aber das Verhalten schreibe ich vor.
Regeln Sie das Verhalten der Menschen, ihre Meinungen regeln sich dann von selbst.
Ich bin überzeugt, die Gemeinschaft kann nur gewahrt werden durch gemeinsames Verhalten, durch ein strenges Zeremonialgesetz. Die Juden in der Diaspora würden sogleich absplittern, wenn sie da keine Autorität spürten. Ich muß mir die Befugnis wahren, das Zeremonialgesetz autoritativ zu regeln. Über Jahve mag jeder seine individuelle Meinung haben, aber wer seinen eigenen Ritus haben will, den dulde ich nicht in der Gemeinschaft.« Sein Gesicht hatte sich gespannt, es war keine Höflichkeit mehr darin, es war stark, hart, solche Gesichter hatte Josef gesehen, wenn manchmal in der Hauptstadt Freunde von ihm sich unversehens aus verbindlichen, liberalen Herren in Römer verwandelten. »Ich führe nur die Sendung Jochanan Ben Sakkais aus«, fuhr der Großdoktor fort, »nichts weiter. Ich ersetze den verlorenen Staat durch die Lehre. Man sagt, mein Zeremonialgesetz sei nationalistisch. Wie sollte es sonst sein? Wenn der Staat durch Jahve ersetzt werden soll, dann muß Jahve sich gefallen lassen, daß ich ihn mit den Mitteln des Staates verteidige, mit politischen, daß ich ihn nationalisiere.
Meine Herren sagen mir, man könne dem einzelnen nicht befehlen, gerade zwei Stunden vor Sonnenuntergang die Allgüte Gottes zu empfinden, und überdies in einem vorgeschriebenen Text. Mag sein, daß das letzte, innigste Gebet nur individuell sein kann, an keine Zeit gebunden und an keine Form. Trotzdem schreibe ich vor, daß die fünf Millionen Juden zu einer Stunde beten und mit den gleichen Worten. Immer mehr unter ihnen werden die Worte nicht nur sprechen, sondern auch denken, und in allen wird das Gefühl sein, daß sie das Volk eines Gottes sind, gemacht nach einer Art, erfüllt von einem Leben und schreitend einen Weg.«
Der Großdoktor rief sich zurück, verlor seine Strenge, wurde wieder der höfliche, weltmännische Herr von früher. Er ging ganz nahe an Josef heran, legte ihm die Hand auf die Schulter, lächelte, daß die großen, auseinanderstehenden Zähne inmitten des rotbraunen, viereckigen Bartes sichtbar wurden. »Entschuldigen Sie, mein Doktor Josef«, bat er, »ich habe Ihnen eine Rede gehalten, als wären Sie mein Schwager Ben Ismael. Glauben Sie mir übrigens«, beeilte er sich hinzuzufügen, »wenn einer, dann liebe und verehre ich diesen Ben Ismael. Es hat mein Herz nicht weniger bedrückt als das seine, als ich ihm auflegen mußte, seinen Versöhnungstag zu entweihen. Ich hätte das an seiner Statt nicht über mich gebracht, ich gebe es offen zu. Er ist größer als ich. Schade, daß er ein Ideolog ist.« Und als Josef im Begriff war, sich zu verabschieden, versicherte er nochmals: »Sicher ist unter denen, die heute die Lehre auslegen, Ben Ismael der tiefste und gelehrteste. Sie müssen oft mit ihm zusammenkommen, mein Doktor Josef. Niemand hat seinen Philo besser studiert und besser begriffen als er. Nicht einmal der Acher, und ich schon gar nicht. Aber ein Satz steht im Philo, den habe ich besser verstanden als die beiden Herren.« Er lachte herzhaft, vertraulich, und zitierte den Satz: »›Was nicht der Vernunft gemäß ist, ist häßlich.‹«
Als Josef ein zweites Mal bei dem Großdoktor zum Mahle erschien, traf er zu seiner Überraschung Johann von Gischala. Johann war also wirklich nach Jabne gekommen, »um den weltfremden Ideologen ins Gewissen zu reden«.
Der Großdoktor lächelte. »Ich weiß, meine Herren«, sagte er, »daß Sie beide damals in Galiläa nicht gut miteinander auskamen. Aber mittlerweile ist viel Wasser den Jordan hinuntergeflossen, und Doktor Josef hat sich wohl inzwischen mit Ihnen wieder vertragen gelernt. Sprechen Sie, bitte, offen in seiner Gegenwart. Ich glaube zu wissen, worüber Sie sprechen wollen, und kann nur wünschen, Doktor Josef möge, wenn er wieder nach Cäsarea kommt, dem Gouverneur über diese Aussprache berichten. Ich bin nicht für diplomatische Heimlichkeit.«
Johann von Gischala ging denn auch schlankwegs auf sein Ziel los. Der von den Doktoren vorgeschlagene Boykott der römischen Güterauktionen, führte er aus, sei sinnlos. Der Boykott sei als Protest und Rechtsverwahrung gedacht, weil die Regierung vier Jahre nach Beendigung des Krieges
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