Die Söhne.
fünfzig Schritte mögen es noch sein bis zum Bogen. Es werden fünfzig harte Schritte sein. Aber gehen wird er sie, beugen wird er sich. Es ist sein Vorsatz, er hat ihn hin und her gewälzt in diesen drei furchtbaren Tagen, es ist ihm auferlegt, und er hat es auf sich genommen. Und jetzt führt er es durch, jetzt zieht er hin, sich zu demütigen und sein Volk zu verleugnen.
Es ist ein angenehmer Tag, nicht heiß; aber Josef schwitzt, er ist sehr blaß, das Innere seines Leibes ist ausgehöhlt. Er hat geglaubt, die Erwartung sei das Schwerste. Das war ein Irrtum. Wieviel Schritte mögen es jetzt noch sein? Fünfundvierzig. Nein, nur mehr vierzig. Den Fuß hoch: hat er denn Blei unter den Sohlen?, und er hebt den Fuß. Er malmt mit den Zähnen, er knirscht. Das darf er nicht, die um ihn könnten es hören.
Plötzlich ist in seiner Vorstellung der Mann Bileam, ein großer Zauberer und Prophet unter den Heiden, der da auszog, das Volk Israel zu verfluchen, dem aber Jahve die Worte im Mund verkehrte, so daß er segnen mußte. Ich bin ein umgekehrter Bileam, denkt er. Ich ziehe aus, um meinem Volk Gutes zu tun, und allen scheint, ich verleugnete es. Um sich das Gehen zu erleichtern, klammert er sich an die Verse, die uralten, die die Schrift dem Bileam in den Mund legt, und an ihren Rhythmus: »Wie mag ich verwünschen / Schritt / wen Gott nicht verwünscht / Schritt / und wie mag ich schelten / Schritt / wen Jahve nicht schilt / Schritt / Sieh da ein Volk / Schritt / das abseits wohnt / Schritt / und unter die andern / Schritt / zählt es sich nicht / Schritt / Wer mißt den Staub Jakobs / Schritt / wer Israels Heerschar / Schritt / Wie schön sind deine Zelte, Jakob / Schritt / deine Wohnungen, Israel / Schritt / Wer dich segnet, ist gesegnet, / Schritt / Wer dir flucht, ist verflucht / Schritt / Ich sehe ihn / Schritt / doch nicht schon jetzt / Schritt / ich schaue ihn / Schritt / doch nicht nahe / Schritt / Es strahlt auf ein Stern aus Jakob.«
Und nun sind es höchstens noch zwanzig Schritte.
Es ist plötzlich, sicherlich ist das Weisung, leerer Raum um ihn, in dem gedrängten Zug geht er ganz allein. Die Beine bis herauf zu den Hüften hängen an ihm leblos, schwer; gleich wird er, so stark er es will, den Fuß nicht mehr heben können. Aber er hebt ihn. Ja, sein Gesicht bleibt dabei ganz ruhig; die Zähne freilich preßt er so heftig zusammen, daß die Kaumuskeln sich aus den Wangen herauswulsten. Und er hebt den Fuß nochmals, und nochmals, und leerer Raum ist vor ihm, und leerer Raum ist hinter ihm.
Nein doch. Hinter ihm, in kleinem Abstand, jede seiner Bewegungen nachäffend, geht des Kaisers Zwerg, der dicke, behaarte, bösartige, närrische Silen.
Josef weiß, alle die Tausende schauen jetzt nur auf ihn, warten mit höhnischer Spannung darauf, wie er sich unters Joch ducken wird. Ein gelles, ungeheures Pfeifen wird im nächsten Augenblick anheben und durch ganz Rom gehen, ein Orkan von Hohn und Gelächter. »Wie hat er sich geduckt. Wie tief und sklavisch hat er sich geduckt. Was für Schisser und feige Hunde sind diese Juden. Was für ein feiger Hund ist dieser Jud Josephus.« Und hunderttausend Juden in Rom und in zwei Wochen fünf Millionen Juden überall in der Welt werden das Gesicht verzerren und fluchen: »Wie hat dieser Lump Josef Ben Matthias wiederum sein Judentum besudelt und die ganze Judenheit. Was für ein Lump und feiger Hund ist dieser Josef Ben Matthias.« Und alle, Juden wie Römer, werden grinsen, höhnen, fluchen: »Ho, Josef der Hund. Ho, Josef der Lump.«
Vor ihm heben sich die lateinischen Buchstaben des Bogens, eine schlichte Inschrift an Stelle der prunkvollen früheren: »Senat und Volk von Rom dem Gotte Titus, Sohn des Gottes Vespasian.« Er liest die lateinischen Worte, aber gleichzeitig in ihm denkt es, aramäisch: Jetzt stehenbleiben dürfen, umkehren. Wie glücklich waren jene, die damals die Waffen gegen Rom hoben und den Cestius Gall totschlugen und seine Legion. Verrückt waren sie und glücklich. Selig sind die Armen im Geiste, selig die Unvernünftigen. Wie glücklich war ich selber, als ich in Galiläa einherzog, vor den Aufständischen, auf meinem Pferde Pfeil. O meine Kraft, o meine Freude, o meine Jugend, und ich bin noch nicht alt.
Nur die letzten Schritte noch trennen ihn von dem Bogen. Schon sieht er an den Innenwänden die verhaßten Steinbilder, die beiden vielbesprochenen Reliefs, auf der einen Seite die erbeuteten Geräte, hoch
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