Die Söhne.
Auch ein gewisser Ephraim hatte davon gehört, ein Galiläer, der im Krieg ein Unterführer des Johann gewesen war. Er war, verwundet, in Gefangenschaft der Römer geraten, alexandrinische Juden hatten ihn aus einem Depot, das Material für die Fechterspiele enthielt, freigekauft. Dieser Ephraim hatte von den Ideen der »Rächer Israels« niemals abgelassen. Er war nicht gewillt, die Herrschaft der Römer hinzunehmen. Die Verräterei des Johann, die Abkehr von den Ideen, die er gepredigt, erfüllten ihn mit Zorn. Er folgte dem Johann nach Jabne, und einmal, kurze Zeit nach der Audienz bei dem Großdoktor, überfiel er ihn auf nächtlichem Heimweg aus dem Hinterhalt und versetzte ihm zwei Dolchstiche in die Schulter. Passanten retteten den Johann, bevor Ephraim sein Werk zu Ende führen konnte.
Das Attentat rief große Erregung hervor. Bis jetzt hatte Flavius Silva den Boykott-Erlaß des Kollegiums schmunzelnd hingenommen; denn, wie er Josef angedeutet hatte, der Boykott diente ja nur dazu, das Land in nichtjüdische Hände zu überführen und seine Romanisierungspläne zu fördern. Jetzt aber wird er wohl nicht umhinkönnen, den Boykott zur Kenntnis zu nehmen und gegen die Verletzung der römischen Souveränität vorzugehen. Der Zorn also über das Attentat und die Furcht vor den Römern ermöglichten dem Großdoktor, die Aufhebung des Gesetzes in einer schnellen, stürmischen Sitzung schon zwei Wochen nach jener Unterredung mit Johann durchzudrücken.
Gamaliel selber besuchte Johann auf seinem Krankenlager, um ihm dieses Ergebnis mitzuteilen. Der Galiläer war schwach und konnte nur mit Mühe sprechen, doch eine große Freude erfüllte ihn. Er spaßte über jenen Ephraim, der ihn verwundet hatte. Da hätten die Römer Geld und Mühe daran gewandt, den Kerl zu einem Fechter auszubilden, und jetzt bei dem Attentat habe sich gezeigt, daß sein Arm so wenig tauge wie sein Hirn. »Wieder einmal«, schloß Johann philosophisch, »offenbart sich, daß eine Vorsehung und ein allweises Schicksal existiert. Denn ohne die blöde Tat dieses Ephraim wäre das blöde Gesetz nicht so schnell abgeschafft worden. Somit ist erwiesen, daß die höchst unvernünftige Handlung im Sinn einer höheren Vernunft begangen worden ist.«
Und während er so sprach, dachte der Freigelassene Junius Johannes daran, daß er dem Marull schreiben müsse und daß der an einem solchen Gedankengang seine Freude haben werde.
Die Doktoren Helbo Bar Nachum, Jesus von Gophna und Simon mit dem Beinamen der Weber hatten im Kollegium wieder einmal die Frage angeschnitten, welche Lehrmeinungen unter die Kategorie »Ableugnung des Gottesprinzips« fielen. »Leugnung des Prinzips« aber, Mord und Blutschande galten dem Judentum unter allen Verbrechen als die drei übelsten, und »Leugnung des Prinzips« war schlimmer als die beiden andern. Die Lehre der Minäer wurde bisher als Schittuf angesehen, als bloße »Abweichung«, das Kollegium scheute sich, darüber hinauszugehen, und Diskussionen über die heikle Frage, wie weit man den Begriff »Leugnung des Prinzips« ausdehnen solle, waren nicht beliebt. Nur diese drei, Helbo, Jesus und Simon der Weber, stocherten immer von neuem an dem Problem herum. Auch diesmal ließen die andern Herren des Kollegiums die drei reden, es kam zu keiner rechten Debatte, kein Antrag wurde gestellt, kein Beschluß gefaßt.
Josef, sich des Gespräches in Lud erinnernd, nahm den Vorstoß der drei Doktoren zum Anlaß, Gamaliel über seine Haltung gegen die Minäer zu befragen. »Die Lehrmeinungen der Minäer«, sagte der Großdoktor, »haben nichts mit meiner Politik zu tun, ich nehme sie nicht zur Kenntnis. Diese Leute glauben, wir Doktoren ließen ihnen kein genügend großes Teil von Jahve, und möchten sich auf eigene Faust ein größeres Teil herausschneiden. Warum soll ich ihnen diesen Spaß nicht lassen? Es sind überdies fast nur einflußlose Leute, die den Minäern anhangen, kleine Bauern, Leibeigene, und sie tasten das Privileg der Doktoren nicht an, das Gesetz autoritativ zu kommentieren und die Riten festzulegen. Sie befassen sich mit dogmatischen Dingen, die nicht ins Leben eingreifen, mit Träumen. Es ist eine Religion für Frauen und Leibeigene«, schloß er wegwerfend.
Josef hörte überrascht und zweifelnd zu. »Sie lassen diesen Leuten ruhig ihren Messiasglauben?« fragte er. »Sie unternehmen nichts gegen ihre Propaganda?«
»Warum sollte ich?« fragte der Großdoktor zurück. »Einer
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