Die Söhne.
nicht zum Bleiben einlade. Sie lud ihn nicht ein. Da grüßte er, ernst, höflich, und ging fort.
In der Stadt Lud wußte man offenbar noch nichts von dem Gutachten über die Minäer, von dem der Gouverneur dem Josef gesprochen hatte. Auch bedrängten ihn weder Channah noch der Acher noch gar Ben Ismael mit unbehaglichen Fragen, ob er bei Flavius Silva wegen ihrer Universität vorstellig geworden sei. Trotzdem war die Vertrautheit fort, die vor seiner Reise zwischen Josef und denen von Lud gewesen war. Er hatte zwar durch das Gespräch mit Justus viel von seiner früheren Sicherheit zurückgewonnen; trotzdem war es ihm leid, daß die in Lud ihn jetzt wie einen Fremden behandelten. Bestimmt hielt, trotz aller äußeren Höflichkeit, die heftige Channah ihn für einen Schwächling.
Seltsam war die Haltung des Acher. Er bat Josef in sein Haus, sie aßen gemeinsam zu Abend, die beiden Männer und die schöne, braune Tabita. Der Acher war heute nicht so gesprächig wie sonst. Josef, von dieser Schweigsamkeit bedrängt, redete um so mehr, erzählte von dem Gouverneur, von Flavisch Neapel, von Liban, dem Stadtrat Akawja, sogar von Justus. Der Acher wandte ihm langsam sein fleischiges Gesicht zu, blinzelte ihn aus traurigen, wissenden Augen an, sagte unvermittelt: »Sie haben in Ihrem Leben viel getan, viel geredet und viel geschrieben, mehr als die meisten andern Menschen. Sicher waren Sie immer bestrebt, Ihr Reden und Ihr Tun in Einklang zu bringen. Merkwürdig, daß es Ihnen so selten geglückt ist.«
Josef war überrascht von diesem plötzlichen, robusten Anwurf. Wäre nicht das Gespräch mit Justus gewesen, er hätte wohl heftig erwidert. Nun aber war ihm die bittere Rede des jungen Menschen fast lieber als die Stummheit der andern. Für die Vergangenheit mochte dieser recht haben, für die Zukunft bestimmt nicht. Und er erwiderte nichts.
Die braune Tabita lag faul auf ihrem Speisesofa, schön und schläfrig. Der Acher sagte: »Ich habe übrigens Ihren Kosmopolitischen Psalm in griechische Verse gebracht.« Josef war voll brennender Spannung, wie seine Strophen im Griechischen des Acher klingen würden; doch er wagte nicht, ihn zu bitten, sie ihm herzusagen. Allein der Acher, nachdem er Josef eine kurze Zeit hatte warten lassen, begann von selbst. »Hören Sie«, sagte er, stellte sich hinter den Tisch, stützte die Hände auf, schaute vor sich hin, die Augen gesenkt, begann, gesammelt zu sprechen, in seinem langsamen, reinen Griechisch.
Er hatte aber in seine Übertragung jede Schwingung, jeden Anklang der hebräischen Verse des Josef eingefangen. So, genauso, hätte Josef sein Gefühl Gestalt annehmen lassen, wenn er griechisch geboren wäre. Er war hingerissen von der Schönheit der Verse, wie sie jetzt in dem fremden, geliebten, gehaßten, ersehnten Idiom ihm ins Ohr und ins Herz drangen. Er sprang auf, umarmte den Acher, küßte ihn. »Sie müssen mit mir nach Rom kommen, mein Jannai«, bestürmte er ihn. »Wir müssen gemeinsam arbeiten. Wir müssen die ›Universalgeschichte‹ der Juden zusammen schreiben, Sie und ich. Sie dürfen nicht hierbleiben. Es wäre ein Verbrechen an Ihnen selber, an mir, an Israel, an der ganzen Welt.«
Die Braune war durch die lauten, heftigen Worte Josefs vollends wach geworden, neugierig schaute sie auf ihn. Der Acher sagte, sie freundlich streichelnd: »Schlaf weiter, meine Taube.« Doch zu Josef sagte er, trocken: »Sie vergessen, mein Flavius Josephus, daß ich es dahin bringen will, daß mein Leben zu meinen Worten stimmt. Aber es freut mich, daß meine Übersetzung Ihren Beifall hat.«
Josef war kaum in Jabne angekommen, als ihn der Großdoktor zu sich bat. Gamaliel schien davon zu wissen, daß Josef in Cäsarea nichts für die in Lud unternommen hatte. »Ich kann mir unschwer vorstellen«, sagte er, »daß unsere gemeinsamen Freunde Ihnen mit ihrem alten Anliegen kamen. Es muß für den Autor des Kosmopolitischen Psalms eine große Versuchung gewesen sein, der nationalen Universität Jabne eine übernationale entgegenzustellen.« – »So war es«, sagte Josef aufrichtig. »Ich freue mich«, erwiderte Gamaliel, »daß meine Gründe in Ihrem Gemüt Anklang fanden. Das erleichtert mir die Bitte, die ich an Sie habe.« – »Hier bin ich«, antwortete formelhaft Josef.
»Sie wissen«, begann, fest zupackend, der Großdoktor, »daß Flavius Silva von mir ein Gutachten über die Minäer verlangt hat?« – »Ja«, erwiderte Josef. »Ich höre«,
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