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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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»Vor kurzem«, gestand er, und seine Stimme war auffallend weich und zaghaft, »lag es in meiner Hand, etwas Entscheidendes zugunsten der Minäer zu tun. Ich habe es nicht getan. Manchmal glaube ich, daß das falsch war; manchmal scheint mir, daß ich mich nicht hätte drücken sollen.« Er wartete ängstlich, als hinge alles davon ab, auf die Antwort des Justus.
      Der aber lachte und erwiderte, gutmütig geradezu: »Sie sind ein Narr, mein Josef. Daß Sie sich da gedrückt haben, war die erste vernünftige Tat Ihres Lebens.« Und Josef freute sich, daß dieser ihn freisprach, er war glücklich und ihm sehr freund.
      Justus aber redete weiter. Hochmütig, hart, scharf kam seine Stimme durch die laue Nacht: »Nein, mein Lieber, erwarten Sie sich nichts von der engbrüstigen, kurzatmigen Doktrin der Minäer. Ihre Lehre ist nur auf Schwächlinge berechnet. Es ist leicht, auf ein süßes Jenseits zu hoffen, das man durch bloßen Glauben erlangen kann. Daß einer für alle gelitten hat, so daß die andern dadurch ihr Teil Leidensverpflichtung los sind, diese Lehre ist mir zu wohlfeil. Und so simpel das Dogma der Minäer ist, so verstiegen ist ihre Moral. Schon wir verlangen viel. Daß man seinen Nächsten nicht hassen soll, ist eine harte Forderung; immerhin kann man sich mit viel Willenskraft vielleicht dazu erziehen. Daß man aber die linke Wange hinhalten soll, wenn der andere einen auf die rechte schlägt, das ist übermenschlich, unmenschlich und also verurteilt, ein schönes akademisches Ideal zu bleiben. Nein, mein Josef, kommen Sie mir nicht mit der bequemen Weisheit vom Nichttun und vom Verzicht.«
      »Sie müssen zugeben, mein Justus«, brachte nach einer Weile Josef einen anderen Einwand, »daß unter den Juden, abgesehen von den paar Hellenisten, heute die Minäer die ein zigen sind, die noch an der universalistischen Tendenz der Schrift festhalten.«
      »Das Weltbürgertum dieser Leute«, sagte wegwerfend Justus, »ist ein Massenartikel wie alles, was sie lehren. Sie erkaufen sich ihren Universalismus durch Preisgabe alles dessen, was das Judentum an großer, starker Tradition besitzt, an geistgewordener Geschichte. Weltbürgertum will erworben sein. Man muß Nationalismus gespürt haben, um zu wissen, was Weltbürgertum ist. Wenn ich wählen soll zwischen den Doktoren und den Minäern, dann ziehe ich die Doktoren vor. Ihr spitzfindig enger Nationalismus ist widerlich: aber sie ergeben sich wenigstens nicht, sie kämpfen. Sie verlangen, daß man in der Erwartung eines aktiven, gefährlichen Messias lebe, dessen Erscheinen man überdies selber durch das eigene Verhalten beschleunigt oder verzögert. Die Minäer beschränken sich darauf, einfach zu verzichten. Die Aufgabe ist: sich nicht national zu verkrusten und sich trotzdem nicht in farbloses Gemengsel zu verflüchtigen. Die Doktoren haben diese Aufgabe nicht gelöst, aber die Minäer noch weniger.«
      Er verstummte. Sie standen auf. Schweigend gingen sie durch die Nacht. Als sie fast schon am Hause angelangt waren, fragte Josef, was er den andern schon einmal vor vielen Jahren in Rom gefragt hatte: »Was soll ein jüdischer Schriftsteller heute tun?« Aber der Hagere gab keine Antwort mehr. Er hob nur die Schultern; es sah seltsam aus, wie die linke Schulter ohne Arm sich hob, und Josef wußte nicht, ob es nicht eine Gebärde der Hoffnungslosigkeit war. Unter der Tür aber, sich verabschiedend, vielleicht in Erinnerung an einen Satz, den er bei dem ersten Zusammentreffen mit Josef geäußert, sagte Justus: »Es ist seltsam. Seitdem sein Tempel zerstört ist, ist Gott wieder in Judäa.«
      War das eine Antwort?
      Am andern Tag traf der Paß des Justus für Cäsarea ein, und Justus reiste fort.
      Josef aber, in Erinnerung an das Nachtgespräch an der Zisterne, schrieb an diesem Tage den »Psalm von den drei Gleichnissen«.
    Denen ich zugehöre,
Hat Jahve auferlegt,
Das Salz zu sein seiner Erde.
Wie aber sollen wir es anstellen, das Salz zu sein,
Da des Wassers viel ist
Und wir vergehen würden im Wasser,
Für immer uns auflösend ins Nichts,
So daß unser keine Spur bliebe und kein Geschmack
Und unsere Sendung verloren wäre?
Ich will nicht verloren sein.
Ich will nicht das Salz sein.

    Oh, der Lust, Feuer zu sein, Das abgeben kann von seiner Kraft
    Und doch nicht weniger wird und nicht erlischt. Glückliches Licht, glückliche Flamme.
    Aber solche Gabe hat allein der brennende Dornbusch.
Selbst Mose, da er nach der Flamme

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