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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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fuhr Gamaliel fort, »daß der Gouverneur den Stadtrat Akawja begnadigen will. Haben Sie das erwirkt?« – »Ich habe davon gesprochen«, sagte Josef. »Der Gouverneur hat es Demetrius Liban zuliebe getan.«
      Der Großdoktor setzte sich dicht neben Josef, sprach zu ihm wie ein jüngerer Freund zum älteren, herzlich, vertraulich. »Es gibt viele schwebende Fragen zwischen Jabne und der Regierung in Cäsarea. Es wäre gut, wenn wir dort einen ständigen Vertreter hätten. Die Doktoren und das Volk zusammenzuhalten erfordert die ganze Kraft eines Mannes. Es geht über die Kraft eines einzelnen, die Judenheit auch noch vor Rom zu vertreten.« Und, ganz leichthin, als spräche er vom Wetter, bot er ihm an: »Wollen Sie mir die Außenpolitik abnehmen, Doktor Josef? Sie sind in diesen Fragen erfahrener als ich und unter den Juden derjenige, vor dem man in Rom die größte Achtung hat. Ich könnte mir denken, daß, wenn ein so geschickter Mann wie Sie unsere Sache führt, Rom uns in fünf oder sechs Jahren mehr Befugnisse einräumt, so daß allmählich das Kollegium von Jabne aus der religiösen Vertretung der Juden auch wieder zu einer politischen wird. Ich habe immer ohne Rückhalt zu Ihnen gesprochen, Doktor Josef, ich nehme an, Sie halten mich für ehrlich. Teilen Sie die Macht mit mir. Lassen Sie mir die Innenpolitik, und seien Sie unser Gesandter in Cäsarea. Seien Sie unser Repräsentant vor Rom. Sie allein können es.« Und, unvermutet in einen scherzhaften Ton übergehend, schloß er: »Sie müssen es tun, schon um meinen Doktoren neues Gezänk zu ersparen. Wenn Sie ablehnen, dann muß ich über kurz oder lang nach Rom. Bedenken Sie, was es dann für Debatten geben wird, ob ich die Sabbatgesetze übertreten und die Seereise nach Rom unternehmen darf.«
      Josef war ein Mann des Augenblicks, sein hageres Gesicht gab jede Regung wieder, und es kostete Gamaliel nicht viel Mühe, zu sehen, wie sehr sein Antrag ihn bewegte. Viele Gedanken gingen in Josef hin und her. Das Amt, das Gamaliel ihm anbot, war geeignet, seinem Leben Rückgrat zu geben, und ließ ihm trotzdem Muße für seine Bücher. Süß und lieblich ist die Heimat. Als er auf der kleinen Mauer saß, in der Sonne, auf dem Vorwerk »Brunnen der Jalta«, hat er davon geträumt, im Lande zu bleiben, auf dem Boden, der so lange seine Väter getragen, in der Luft, die sie so lange geatmet. Es ist ein ver lockendes Amt, er könnte vermitteln zwischen denen in Lud und denen in Jabne. Mit diesem Gamaliel kann er sich leicht verständigen, und mit denen in Lud ist gut reden. Es wäre ein schönes Leben, das halbe Jahr in Cäsarea, das halbe Jahr auf seinem Gut, mit Mara. Er könnte sich entspannen, könnte aramäisch sprechen, wäre nicht der Fremde wie in Rom. Hier hat er gesehen, was alles ihm in Rom gefehlt hat. Wenn er mit Männern wie diesem Gamaliel, dem Acher, dem Ben Ismael zusammen ist, dann spürt er, daß hier seine Wurzeln sind, und selbst die schwerfälligen Meditationen der galiläischen Bauern und die abstrusen Diskussionen der Doktoren, ihr Singsang, ihre läppischen Streitigkeiten, gehören zu ihm. Es ist gewiß, daß ihm aus alldem Kraft zuwächst. Ist es nicht vermessen, auf diese Kraft zu verzichten, sich auf sich allein zu stellen?
      Aber sein Werk, seine Geschichte? Wenn er sie hier schreibt, wird sie nicht gefärbt werden? Wird sich nicht notwendig der kleine, alberne Alltag der Provinz in sie einschleichen?
      Gamaliel, als hätte er seine Gedanken erraten, fuhr fort: »Es ist Ihnen geglückt, die Geschichte des Krieges so zu schreiben, daß die Juden sie ohne Erbitterung lesen und die Römer mit Freude. Aber ich fürchte«, und er wies auf das Mosaik des Fußbodens, das die Traube darstellte, das Emblem Israels, »es ist noch nicht soweit, daß einer gleichzeitig vom Saft der Traube und von der Milch der Wölfin trinken kann. Gott hat Ihnen viel Kraft mitgegeben; aber man muß wohl vom Wuchs der alten Propheten sein, um beides zeitlebens verdauen zu können. Rom ist groß; wenn einer dort ist, liegt das Land Israel weit dahinten und sieht sehr gering aus. Die Fleischtöpfe Roms quellen über, hier sind Milch und Honig spärlich geworden.« Er erhob sich, aber er ging nicht an den Pfeiler, um eine Rede zu halten, vielmehr blieb er vor Josef stehen und sprach ihm freundschaftlich zu, mit Wärme, ja, er legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich bin jünger als Sie, und vielleicht heißen Sie mich zudringlich. Ich gebe zu, bisher ist

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