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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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dachte er, hat Titus es ihm gesagt, und der Schlauberger will es mir nicht verraten. Laut äußerte er: »Es gibt unter uns nicht viele, die von ihren Taten nur eine einzige zu bereuen hätten. Mein Bruder war ein tugendhafter Mann. Mein Bruder«, fuhr er fort, ein kleines finsteres Lächeln auf dem Gesicht, »war außerdem ein glücklicher Mann.« Und mit zweideutiger, gefährlicher Ver traulichkeit erläuterte er: »Er ist auf dem Gipfel seines Ruhmes gestorben. Wenn er später gestorben wäre, wer weiß, ob er seinen Ruhm hätte halten können, und ihm lag viel an seinem Ruhm. Die ihn zu früh haben sterben lassen«, schloß er, und sein freches, finsteres Lächeln vertiefte sich, »haben zu seinem Besten gehandelt.«
      Als er mit diesen Worten den Josef entließ, war die Sonne aufgegangen, und der Senat von Rom schickte sich an, Titus unter die Götter und Domitian zum Kaiser zu erheben.

    Drei Tage später, am ersten Tischri und somit am Neujahrstag des Jahres 3842 jüdischer Rechnung, stand Josef in der Synagoge, die seinen Namen trug. Das Widderhorn, das scharf, gell, häßlich zur Buße rief, erschütterte ihn bis in die Eingeweide, riß ihm das Innere auf. Es war ein wohltätiges Aufreißen, seine Seele wurde gepflügt zur Aufnahme der Saat. Als er des Nachmittags an das Ufer des Flusses Tiber trat, um, wie es Vorschrift war, seine Sünden von sich in den Fluß zu schütten, auf daß das fließende Wasser sie zum Meer trage und sie dort ersäufe, fühlte er sich in Wahrheit gereinigt.
      Am ersten Tischri wirft Jahve die Lose, doch erst am zehnten, am großen Sühnetag, am Sabbat der Sabbate, siegelt er sie; diese Frist gab er den Männern seines Volkes, damit sie durch Buße das Gericht abwenden könnten. Mehr als die andern hatten in jener Zeit die Juden die Fähigkeit der Buße; sie waren durch mehr Schuld und mehr Elend gegangen, sie wußten, daß Schuld und Elend kein Ende sein muß, sondern ein Durchgang sein kann vor neuem Beginn. Josef insbesondere, der ewig Wandelbare, konnte seine Vergangenheit abschütteln wie glatte Haut das Wasser, und wie ein Neugeborener von seinen Vätern und Vorvätern wohl ihr Wesen überkommt, aber nicht ihr Schicksal, so konnte er jetzt, zu Anfang seines neuen, großen Werkes, sein Dasein beginnen, ohne daß seine Vergangenheit ihm zur Last gewesen wäre. Unverloren blieb ihm, was an ihr nützlich war, und was an ihr schlecht war, strich er aus.
      Am zehnten Tischri dann stand er wie die andern in seiner Synagoge, im einfachen, weißen Kleid, in jenem Linnen, in dem er nach seinem Absterben in den Sarg gelegt werden sollte; denn als ein zum Tod Bereiter hat man an diesem Tage vor Jahves Antlitz zu treten.
      Das Kollegium von Jabne hatte angeordnet, daß das große Opfer, das früher, in den Zeiten des Tempels, am Sühnetag dargebracht worden war, jetzt durch eine Schilderung des Opferdienstes ersetzt werden sollte. Der Levit Jubal Ben Jubal, einer der wenigen Sänger und Musiker des Tempels, die sich aus der Zerstörung gerettet hatten, war zum Vorbeter der JosefSynagoge bestellt worden. Er also, im Wechselgesang mit der Gemeinde, trug die Schilderung des Tempeldienstes vor. Er kannte gut die altererbten Melodien, und an der rechten Stelle, wenn er vom Sündenbekenntnis sagte und sang oder vom Zählen der Güsse des Opferblutes, das der Erzpriester gesprengt hatte, dann wob er den wilden, eintönigen Singsang hinein, den die Leviten bis heute bewahrt hatten aus jener Urzeit, da die Juden noch in der Wüste gewandert waren.
      Heil dem Auge, sang er, das die vierundzwanzigtausend jungen Priester gesehen, die Geräte des Tempels, die Pracht des Dienstes; wenn unser Ohr jetzt davon vernimmt, wird uns die Seele trüb. Heil dem Auge, das den Erzpriester gesehen, wenn er aus dem Allerheiligsten trat, versöhnt, in Frieden, unversehrt, verkündend, daß der rote Faden der Schuld weißgewaschen sei durch Jahves Gnade. Heil dem Auge, das ihn so gesehen; wenn unser Ohr jetzt davon vernimmt, wird uns die Seele trüb.
      Denn wir, sang er weiter, wir, ach, durch das Übermaß unserer Sünden, haben keine Entsühnung mehr. Preisgegeben den Frevlern ist das Land, die Fremden sind der Kopf geworden, wir die Fußsohle. Ohne Propheten tasten wir umher, gleich Blinden, ohne Weissagung. Und keine neue Reinigung winkt uns mehr. Keinen Erzpriester haben wir mehr, die Opfer für uns darzubringen, keinen Sündenbock, unsere Schuld in die Wüste zu tragen.
      Und er sprach und

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