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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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sang von den Einzelheiten dieses großen Sühneopfers. Wie der Erzpriester sieben Tage zuvor sich abgeschlossen hielt von jeder Berührung mit der Welt, sein Herz nur auf sein heiliges Amt gerichtet. Wie er in der Nacht vor dem großen Sühnetag ohne Schlaf und Speise blieb, beschäftigt damit, die Schrift zu lesen und zu hören. Wie er dann am Morgen, in weißen Gewändern, prangend im Tempelschmuck, zur Ostseite des Vorhofs schritt, wo, gehütet von Priestern, die beiden Ziegenböcke angepflockt standen, einander völlig gleich in Größe und Gestalt, für deren Bereitstellung jedermann in Israel den Bruchteil eines Hellers gespendet hatte. Wie er weiter aus der Urne die goldenen Lose zog und bestimmte, welcher von den beiden Böcken Jahves sein solle und welcher der Wüste. Wie er jetzt, die Hände auf dem Haupt des Bockes, vor allem Volk die Sünden bekannte, die er, sein Haus, sein Stamm, ganz Israel begangen, sie dem Bock aufs Haupt legend, und wie er ihm diese Sünden, in Form eines roten Fadens, ans Horn band und ihn fortschickte, daß er sie in die Wüste trage. Wie er schließlich ins Allerheiligste eintrat und Jahve anrief bei seinem wirklichen, erhabenen, furchtbaren Namen, der sonst nie und von keinem genannt werden durfte, und wie alles Volk, wenn der Name aus seinem Munde drang, sich hinwarf aufs Angesicht.
      So sagte und sang der Levit Jubal Ben Jubal. Josef hatte alles miterlebt, wovon er sang, den ganzen Dienst, er war während dieses Dienstes auf den Stufen des Tempels gestanden, in der ersten Reihe, und wenn Augen selig waren, die das mit angesehen, dann die seinen, und wenn einem die Seele trüb werden mußte, der jetzt davon vernahm, dann ihm. Er hatte ferner, aus größerer Nähe als irgendeiner unter den Lebenden, mit angesehen, wie dieser Tempel und sein Allerheiligstes zerstört wurde und seine Priester erschlagen. Er hatte schließlich, als einziger unter den Juden, die Stätte in ihrer Ödnis gesehen, dem Erdboden gleich. Er hatte das Verlorene gesehen, den Verlust miterlebt und dieser Wirklichkeit standgehalten. Als er aber jetzt die Schilderung des Verlorenen hörte, hielt er nicht stand. Sein Herz versagte, stockte, die Augen, die den Brand und Sturz des Tempels hatten sehen können, trübten sich, die Ohren, die das Krachen und Bersten des Tempels hatten hören können, konnten nicht die Schilderung des Tempeldienstes hören, und der Weltbürger Flavius Josephus, während der Levit weitersang von der verlorenen Größe seiner Nation, brach nieder und lag ohnmächtig in dem einfachen, weißen Kleid, in dem er einstmals begraben werden sollte.

    Seitdem der Kaiser ihn aus seinem früheren Haus ausquartiert hatte, wohnte Josef in dem Bezirk »Freibad«, einer wenig vornehmen Stadtgegend im Süden, in einem kleinen Haus, das zwischen hohen Mietkasernen eingepreßt lag. Er lebte da inmitten tätigen, lärmenden Volkes, sehr zurückgezogen. Justus hatte, als Josef sein früheres Haus verlassen mußte, eine eigene kleine Wohnung genommen. Paulus, wohl auf Weisung der Mutter, kam nicht mehr. Josef war die meiste Zeit allein, er arbeitete, wartete auf Mara. Er arbeitete nicht schlecht in seiner neuen Wohnstätte; im Grunde war es für einen Mann wie ihn gleichgültig, wo sein Schreibtisch stand.
      Und dann kam Mara mit dem Kind.
      Tüchtig, ohne viele Worte übernahm sie die Führung des Hauses, und nach vierzehn Tagen war es, als wäre sie immer dagewesen.
      Wochen vergingen, Monate vergingen. Die Menschen kümmerten sich wenig um Josef, er sich wenig um die Menschen, er arbeitete und war einverstanden mit seinem Schicksal.
      Eines Tages überkam ihn Lust, sein früheres Haus wiederzusehen, das Domitian, weil es so lange die Wohnung seines Vaters, des Gottes Vespasian, gewesen und weil er selber darin geboren war, in einen Tempel des Flavischen Geschlechts hatte umbauen lassen. Josef machte sich auf und ging in den sechsten Bezirk.
      Mit Neugier und einem kleinen, leicht spöttischen Unbehagen betrachtete er das Haus, in dem er soviel erlebt hatte. Die Fassade war kaum verändert, ihr schlichter Charakter sollte offenbar gewahrt werden. Er betrat das Innere. Ein leiser, süß und fader Geruch von Räucherwerk schlug ihm entgegen. Es war Nachmittag, bald wird man den Tempel schließen, nur sehr wenig Menschen waren da. Zwischenwände, Decken und Böden hatte man entfernt und so dem Raum mehr Höhe und Weite gegeben. Jenes Halbdunkel aber, das so lange Dorions großer Kummer

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