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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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gewesen war, hatte man, wohl weil es sich gut für einen Tempel schickte, belassen, und Josef brauchte eine kleine Zeit, ehe er, aus der Helle der Straße in das Dämmer tretend, sich zurechtfand. Dann sah er.
      In drei großen Nischen standen die Bilder der Götter, denen das Haus geweiht war. In der Mittelnische die Göttin Rom, dargestellt diesmal in der traditionellen Art, mächtig, heroisch. Rechts von ihr ragte wuchtig, in Rüstung, der Gott Vespasian; seltsam kontrastierte das Haupt der Meduse auf seinem Brustpanzer mit seiner untersetzten Figur und seinem schlauen Bauernschädel. Die linke Nische aber, der Platz, wo früher der Schreibtisch des Josef gestanden, war in eine Kapelle des Titus verwandelt worden. Die Statue des neuen Gottes füllte, ein kühnes und merkwürdiges Bildwerk, die ganze Nische. Titus ritt auf einem Adler. Den Schnabel schräg nach links oben gerichtet, hob der Vogel die umbuschten Fänge, breitete die Schwingen; gewaltiges Gefieder hüllte ihn ein. Der Gott Titus aber hockte auf ihm, die Beine halb verdeckt von dem Gefieder, und sein gedrungener Leib schien eins mit dem Leib des Vogels.
      Betreten starrte Josef. Der Kopf da vor ihm war der Kopf des Titus, den er gut kannte: das runde Gesicht, das kurze, kräftig vorgestoßene, scharf dreieckig einzackende Kinn, die in die Stirn frisierten Locken. Das waren die engen, nach innen gerichteten Augen, die so oft die seinen gesucht hatten. Und dennoch war dieser Kopf, der, kaum erhöht über den des Vogels, auf Josef schaute, ein anderer. Wohlbegründet war der Haß der Schrift gegen alles Bildwerk, und der Künstler Basil hatte recht gehabt, als er, bevor er den Josef modellierte, seine Schüler warnte: »Schaut euch den Kopf gut an, so wie er jetzt vor euch ist. Wenn ich ihn erst einmal modelliert habe, dann werdet ihr ihn nur mehr sehen, wie ich ihn sah.«
      Verfluchtes Bild. Abstoßend und gleichzeitig lockend hob es sich vor ihm. So unheimlich gelockt mochten seine Vorväter gestanden haben vor dem Bild der ehernen Schlange oder des goldenen Stiers, den ihre Propheten höhnisch ein Kalb nannten. Er versuchte, sich das Gesicht des lebendigen Titus zurückzurufen, mit dem er so oft zusammen gewesen. Aber schon gelang es ihm nicht mehr. Schon verdrängte der höhnisch triumphierende Kopf des Gottes Titus, der auf dem Adler zum Olymp reitet, den des wirklichen: des Titus der Leichenschlucht, des Palatin, des Schneebads.
      Josef wollte sich nicht unterkriegen lassen. Er riß sich zusammen. Versuchte Zwiesprach mit dem Manne zu halten, wie er es so oft getan. »Ist es nicht merkwürdig, mein Kaiser Titus«, fragte er den ehernen Kopf, »daß an der Stelle, wo ich mein Buch über Ihre Taten schrieb, jetzt Sie selber stehen? Sind Sie nun der Lösung des Problems näher, warum Jerusalem zerstört worden ist?«
      Allein damit war seine Zwiesprach schon zu Ende; ihm bangte vor seiner eigenen Kühnheit. Zaghaft, als ob die andern seine Gedanken hätten hören können, schaute er sich um. Aber die andern waren gegangen, er war allein mit dem Gotte Titus. Dünn, unscheinbar stand er vor dem massigen Bildwerk, starrte auf den Kopf, und der Kopf schaute zurück, höhnisch, ehern, stumm. Nein, für den war der Untergang Jerusalems bestimmt kein Problem mehr. Jerusalem hat sich aufgelehnt, und Rom hat es vernichtet; das ist ja Roms Sendung, die Welt zu regieren, die Unterwürfigen zu schützen, aufs Haupt zu schlagen die Frechen. So, sicherlich, lautete die Antwort des Gottes auf dem Vogel. Denn der war ein anderer als der Mann, der an Josef scheue, flüsternde Fragen gestellt und der sich von Josef hatte einreden lassen, Rom sei nicht die Welt, es gelte erst, Rom, Griechenland, Judäa zu vereinen. Nein, dieser Titus hatte ihn widerlegt: Rom war die Welt. Die eherne Stummheit des Toten schrie diese Wahrheit lauter hinaus, als die schmetterndste Kommandostimme des Lebenden es hätte tun können. Rom hatte die Welt eingeschluckt und verdaut, Roms Macht und Leibhaftigkeit verhöhnte die leeren, lächerlichen Ansprüche des Geistes. Er, Josef, der die Welt suchte, war ein Narr und ein Betrogener: er fand nur Rom.
      Er wollte fort. Aber er konnte sich nicht losreißen von dem ehernen Anblick des Mannes auf dem Vogel. Der war in Wahrheit ein Gott; nie vermochte ein Sterblicher soviel Stolz und Kraft aufzubringen. Vergeblich empörte sich Josefs ganzes Wesen gegen den Ungeheuern Übermut des Bildes. Justus hatte recht: das kunstvolle Gemisch

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