Die Söhne.
wird ein paar ablehnende Worte suchen, aber Achtung wird er meinem Stoizismus nicht versagen können. Und Paulus gar: der tote Vater wird die Hingabe ernten, die der Lebende niemals gewinnen konnte.
Ist es denn überhaupt gewiß, daß es böse Folgen haben muß, wenn ich meinem Gefühl gehorche und Würde bezeige? Muß es nicht den Römern Eindruck machen, wenn ich dem Kaiser trotze? Sie verhöhnen die Juden, ihre Feigheit, ihr Sichducken, ihre Würdelosigkeit. Wenn ich mich weigere, in so großer, allen sichtbarer Form, zeige ich damit nicht den Römern: schlagen kann man die Juden, töten kann man sie, aber beugen kann man sie nicht? Zwei Dinge sind, die die Geschichtsschreiber aller Zeiten und aller Völker auf die gleiche Art rühmen: Erfolg und Würde. Die Lesebücher sind voll von erfolgreichen Handlungen und von würdevollen: von vernünftigen wissen sie wenig zu berichten, und Vernunft hat noch kein Geschichtsschreiber gepriesen.
Allein noch während er so denkt, schämt er sich. Er will nicht eitel denken, nicht schief und auf kurze Sicht. Er will kein Lesebuchheld sein.
Auch in der Nacht dieses zweiten Tages findet er keinen Schlaf. Gegen Morgen liest er im Philo. »Was gegen die Vernunft ist«, liest er, »ist häßlich. Die Vernunft«, liest er, »der Logos, ist Gottes erstgeborener Sohn.« – »Sehr richtig«, sagt er ganz laut. »Aber steht nicht geschrieben: Du sollst Gott lieben mit dem guten und mit dem bösen Trieb?« Er zwingt vor sich seine Freunde, Justus, den Großdoktor, Ben Ismael, den Acher. Im Geist rechtet er mit ihnen, gibt Rede und Gegenrede.
»Diese Zeit des Elends«, hebt mit seiner klaren, verbindlichen Stimme der Großdoktor an, »verlockt mehr als viele andere Epochen, dem bösen Trieb zu folgen, dem dummen, patriotischen Instinkt. Ich verdenke es auch keinem, der seinem Patriotismus die Zügel schießenläßt, dem römischen Kaiser trotzt und Zeugnis ablegt für sein Judentum. Aber ist nicht ein gewisser Josef Ben Matthias mehr als andere verpflichtet, diesem Trieb zu widerstehen?« Der Großdoktor schweigt, aber kaum ist er verstummt, nimmt sein Feind, der Acher, seine Rede auf und sagt, stark atmend, schnaufend: »Ist nicht der besagte Doktor Josef in einem langen, nicht immer leichten Leben zu dem Resultat gelangt, daß Jahve nicht der Protektor des Staates Judäa ist, sondern eben der Logos, die große Vernunft?« Und kaum hat der Acher geendet, als, hart und scharf wie immer, Justus ergänzt: »Ein General, ein Dreiheller-Staatsmann mag sich verlocken lassen, die schöne, patriotische Geste zu machen: Sie, Josephus, sind Schriftsteller.« Und ihrer aller Worte beschließt die tiefe, raumfüllende Stimme Ben Ismaels: »Sie, mein Doktor Josef, wenn Sie groß und billig trotzen, sind ein ›Leugner des Prinzips‹. Sie verraten die Idee, derenthalb Sie soviel Unerträgliches auf sich genommen und von andern verlangt haben.«
»Ich bin noch nicht alt genug«, wehrt sich Josef, »nur der Vernunft zu folgen. Das Leben ist nicht lebenswert, wenn man immer nur der Vernunft folgt.«
»Sie sind immerhin fünfundvierzig Jahre alt«, meint höflich und ironisch der Acher. »Sie haben Gott lange genug mit Ihrem bösen Trieb gedient.« Und wieder fällt ihm Justus ins Wort: »Was Sie, Kollege Josephus, sich an Würde und solchem Unfug geleistet haben, reicht für das Leben eines Methusalem.« Und er kichert unangenehm.
»Ich bin heute der einzige«, gibt Josef zu bedenken, »der den Römern zeigen kann, daß ein Jude Würde hat.«
»Und was werden Sie gewonnen haben«, fragt höflich der Großdoktor, »wenn Sie das den Römern zeigen? Die ›Rächer Israels‹ werden Ihre Demonstration für eine Aufforderung nehmen, sich von neuem zu erheben. Glauben Sie, daß eine solche Erhebung heute sinnvoller wäre als vor fünfzehn Jahren, erfolgreicher?« Und der ungeduldige Justus konstatiert schneidend: »Mit Ihrer schönen Geste werden Sie sich wahrscheinlich eine halbe Stunde tiefer Befriedigung verschaffen und sich als großer Mann vorkommen. Aber Zehntausende werden für dieses halbstündige Glück des Schriftstellers Josephus mit
dem Tod oder einem Leben voll Elend zahlen.«
Auf solche Art debattierte Josef mit seinen Freunden. Aber lange konnte er ihre Stimmen nicht festhalten. Wieder dehnte sich ihm endlos der Tag. Wenn es nur erst soweit wäre. Die Demütigung selber wird er ertragen, wie er so vieles andere ertragen hat. Und wenn sie die
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