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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Zeremonie noch so lang hinzögern, wenn sie vom Palatin zur Höhe des Bogens einen noch so weiten Umweg machen, länger als eine Stunde können sie ihn nicht mitschleppen, und unter dem Bogen durchzugehen, das ist der Bruchteil einer Minute: aber jetzt auf den nächsten Morgen zu warten, das ist die Ewigkeit.
      Und wie er am Abend gesagt hatte: »O wäre es Morgen«, so sagte er jetzt zum Morgen: »O wäre es Abend.«
      Als dann der Abend dieses zähen, bleiernen Tages heranschlich, konnte er seine Qual nicht länger stumm herumtragen, er ging zu Mara. Sprach vor ihr.
      Sie saß still da, das Kind auf dem Schoß, und er ging auf und ab, und seine ganze, aufgestaute Pein quoll aus ihm heraus. Er suchte die einfachsten Worte, simple, aramäische, aber es wurden viele, und er kam nicht zum Ende. Er sagte ihr, was man von ihm verlangte, und warum er es tun müsse, und warum sich alles in ihm dagegen sträube. »Die, zu denen ich ja sagen und vor denen ich mich beugen soll«, empörte er sich, »das sind Leute, die den Tempel verbrannt haben und die vierundzwanzigtausend Priester gemetzelt. Und der ganze Tempelberg glühte im Feuer, und alle Höhen waren voll von Kreuzen, und unter der Erde, in den heimlichen Gängen, schlugen sie sich tot um ein Stück schimmeliges Brot. Der, vor dem ich mich beugen soll, ist der Sohn des Mannes, der, alt und geil, dich entjungfert hat und der, um uns beide zu verhöhnen, unsere erste, lächerliche Hochzeit ausrichtete. Soll ich jetzt, nach dreizehn Jahren, nochmals voll Verehrung ja zu alledem sagen? Gott will, daß ich es tue, die Vernunft verlangt es. Aber alles Blut steigt mir in den Kopf, wenn ich daran denke, daß ich unter dem Bogen durchgehen soll, und ich muß schlucken, daß ich fast ersticke, und ich kann es nicht. Und ich werde den Römern zum Hohn sein und den Juden zum Haß. Und Vernunft ist schön und gut, und einmal auch bekommt man seinen Lohn dafür, in fünfhundert Jahren. Und die Vernunft ist Gottes erstgeborenes Kind, aber Gott selber zahlt dafür erst, wenn man tot ist, und solange man lebt, hat man nichts dafür als Fußtritte und Dreck.« Er ging auf und ab vor Mara, er war dürr und schlaff, sein Kleid schleifte nach, seine Augen standen groß, trüb und fieberig in seinem hohlen Gesicht, Bart und Haar kräuselten sich schmutzig, verfärbt, und seine Stimme war so verfallen wie sein Antlitz.
      Mara saß still da, sie folgte ihm mit den Augen, während er hin und her ging. Sie war jetzt siebenundzwanzig Jahre alt, ein wenig dicklich, doch prall, voll Kraft und keineswegs verblüht. Das scheue, mondlich Strahlende ihrer ersten Jugend freilich war fort. Sie war durch vieles hindurchgegangen, hatte Leben und Tod gesehen, Jubel und Verzweiflung, Greise und Kinder, Judäa und die Welt. Auch diesen Doktor und Herrn Josef Ben Matthias hatte sie gesehen, wie ein großes Strahlen und Blühen von ihm ausging. Ein ganzes Volk hatte dieses Strahlen in sich aufgenommen, war durch ihn über sich hinausgehoben und glücklich geworden. Heute noch gilt er Hunderttausenden als ein großer Jude und ein großer Mann, in Judäa neigt man sich vor ihm, er ist Priester der Ersten Reihe, ein Auserwählter Gottes, und gleichzeitig römischer Ritter, Tischgenosse dreier Kaiser, und sein Bild steht im Ehrensaal. Aber da läuft er vor ihr auf und ab, jämmerlich, und schreit seine Pein hinaus wie ein gehetztes Tier. Gott hat ihm schwerere Prüfungen auferlegt als den andern. Sie versteht nicht alles, was er sagt, aber das versteht sie, daß er sehr elend ist. Sie hat ihn immer geliebt, sie weiß jetzt, daß sie ihn liebte, auch wenn sie ihn zu hassen schien, und ein süßes, schmerzvolles Mitleid füllt sie von der Sohle bis zum Haar. Brennend wünscht sie ihren Doktor und Herrn Josef strahlen zu sehen wie früher, erhöht über die andern, wie Saul erhöht war über die andern in Israel. Sie spürt mit ihm, wie groß und herrlich es wäre, dem römischen Kaiser zu trotzen, dem Judenfeind, dem Verbrecher, dem Hund. Aber wenn ihr auch die rechten Worte fehlen, sie weiß genau, worum es geht, daß es in Gottes Augen wohlgefällig ist, wenn er sich die strahlende Tat versagt und das Joch der Schmach auf sich nimmt.
      Der Mann, ihr Mann, spricht weiter, und seine Stimme, von der einmal soviel Zauber und Überredung ausging, ist hohl und rostig. »Was soll ich tun, Mara?« fragt er. »Wenn ich mich füge und das Vernünftige tue, dann scheine ich ein Verräter an meinem Volk, und

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