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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Hunderttausende hassen und verachten mich. Wenn ich mich nicht füge, dann bin ich ein Verräter am wahren Israel, an Gott und an mir selber. Gib mir einen Rat, Mara.« Er schwieg, hockte nieder, schloß die Augen, erschöpft.
      Mara sagte: »Schwer muß es sein, den Übermütigen die Hand zu lecken und den Staub ihrer Füße zu küssen, und ich, Mara, könnte es nicht. Es wäre schön und meinem Herzen eine Freude, wenn du nein sagtest und dem Kaiser der Römer den Hohn in sein Gesicht zurückspieest; denn er ist der Sohn des Mannes, der mir Schmach antat und auf mir lag in seinem Hurenbett. Aber du bist weise, und ich, Mara, bin unweise, und wenn du sagst: ›Mein Wille will es, aber meine Vernunft verbietet es‹, dann muß es für dich ebenso schwer sein, zu trotzen wie nicht zu trotzen, da dein Wille stark ist, o Herr, und deine Vernunft sehr groß. Ich, Mara, dein Weib, habe dich gehört und bin stolz, daß du zu mir gesprochen hast. Aber ich kann dir nichts sagen, nur, daß mir deine Bedrückung auf dem Herzen liegt, als wäre es meine eigene. Geh nach rechts, mein lieber Herr, oder geh nach links: du bleibst mein Herr und Geliebter.«
      Josef hörte sie, und er schämte sich. Er hatte vor ihr alles ausgesagt, was ihn drückte. Eines aber hatte er verschwiegen: daß er, wenn er sich beugte, Furcht hatte vor dem Gesicht eines einzigen Menschen, dem seines Sohnes Paulus, und daß er, wenn er sich nicht beugte, Furcht hatte vor dem Gesicht eines einzigen Menschen, dem seines Freundes Justus.

    Am andern Morgen stand Josef sehr früh auf. Er badete, salbte und parfümierte sich, der Friseur richtete ihm Bart und Haar. Er zog sich sorgfältig an, das Galakleid des Zweiten Adels mit dem Purpurstreif, den Goldenen Ring, den roten Überwurf. So ging er zum Palatin, wo der Festzug sich ordnen sollte.
      Der Zeremonienmeister wies ihm seinen Platz im Zug an. Langsam schritt die Prozession den Palatin hinunter und erstieg die kleine Höhe zum Triumphbogen. Überall waren Menschen, dicht gedrängt standen sie in den Vorhallen, auf den Dächern der Gebäude, hingen, klammerten mit Lebensgefahr an Säulen, an Vorsprüngen. Josef schaute bleich aus, doch gelassen und würdig; der kurze, jüdische Bart wirkte fremdartig zur römischen Galatracht. Das goldene Schreibzeug, das Titus ihm geschenkt hatte, trug er im Gürtel.
      Er hält den Kopf hoch, er sieht gerade vor sich hin. Sieht ein Meer von Köpfen, neue Wellen bei jedem Schritt. Er kann kein einzelnes Gesicht unterscheiden, aber immer wieder glaubt er das Antlitz seines Sohnes Paulus wahrzunehmen, den dünnen, bräunlichblassen Kopf auf dem langen Hals, die leidenschaftlichen, heftigen Augen, seine eigenen Augen, jetzt finster vor Zorn über die Schmach, die sein Vater ihm antut, finster vor Verachtung. Alle werden ihn verachten, die republikanischen Senatoren, Phineas, Dorion, und vielleicht sogar, trotz aller Vernunft, Marull. Am meisten aber wird sein Sohn Paulus ihn verachten.
      Schon ist man nah am Triumphbogen. Die Umschalung ist entfernt; stolz und weiß, aus parischem Marmor, hebt er sich, nicht sehr hoch, doch edel von Form, geschmückt mit Reliefs aus der Werkstatt des Bildhauers Basil. Basil hat wie stets gestöhnt und geschimpft über die unwürdige, unkünstlerische Eile, zu welcher der Monarch ihn nötigte; aber er scheint trotzdem gute Arbeit geleistet zu haben. Seit Wochen jedenfalls spricht Rom von seinen Reliefs, und Josef weiß seit langem, was sie darstellen: den Triumphzug des Titus, die Beute der besiegten Juden, die Tempelgeräte; vielleicht sogar hat der ironische Basil seinen, des Josef Kopf auf den Reliefs angebracht.
      Langsam erschreitet der Zug die kleine Höhe. Vor Josef schimmert der Bogen. Er ist hoch genug, daß man erhobenen Hauptes durchgehen könnte, aber Josef wird er niedrig wie das Joch der Schmach und Niederlage, zwei Lanzen in die Erde gesteckt, eine dritte darüber, so niedrig, daß man sich tief zur Erde beugen muß. Er muß sich beugen. Wieder einmal muß er die Niederlage seiner Juden feiern, sich neigen vor dem Sieger, verleugnen sein eigenes Volk. Und wenn seine Demütigung auch diesem Volke hilft, wer sieht das? Aber daß er es verleugnet, sehen alle, die Zehntausende ringsum auf den Dächern, und sein Sohn sieht es.
      Josef schreitet im Zug, Schritt setzt er vor Schritt. Er schreitet auf harten Quadern, wohlgeformten, geglätteten, auf denen es sich gut geht, und er hat keinen langen Weg mehr vor sich;

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