Die Söhne.
vorbereitet war, begrub man den beringten dritten Finger des Toten, den man vor der Verbrennung abgeschnitten hatte.
Josef arbeitete trotz der drückenden Hitze vom frühen Morgen bis tief in die Nacht. Es ging um mehr als eine stilistische Überfeilung. Er wollte jetzt, nach dem Tod des Vespasian, die jüdische Grundhaltung des Buches auch in der griechischen Version so klar herausarbeiten wie in der ursprünglichen aramäischen Fassung.
Phineas saß am Tisch, still, zugesperrt. Josef hielt sich in seinem Rücken. Sicherlich hatte der Sekretär, der überzeugte Grieche, Verachtung für die jüdischen Tendenzen des Buches und verhöhnte sie in seinem Innern. Sein großes, blasses Gesicht aber mit der mächtigen Nase blieb glatt, höflich, beflissen. Josef verlangte von ihm nicht weniger als von sich selbst, und Phineas, ohne ein Wort des Unmuts, hielt durch. Josef sah den starken, wenig behaarten Hinterkopf des Menschen, hörte seine tiefe, gleichmütige, wohlklingende Stimme. Der ganze Raum war angefüllt von seinem undurchdringlichen Hohn. Der Hohn des Josef freilich war besser, tiefer; sein Entschluß, sich von dem Mann zu trennen, gab ihm Überlegenheit.
So arbeitete er, gehetzt, verbissen, kaum gehemmt durch die vielen Widerstände, bis er die Überfeilung der ganzen sieben Bücher des »Jüdischen Krieges« vollendet hatte. Tief atmete er auf, als er soweit war. Er hatte sich bis jetzt keine Gedanken gegönnt an die Dinge außerhalb seiner Arbeit. Jetzt tauchte er herauf. Jetzt wollte er die Augen aufmachen, wollte sehen, was sich in diesen Wochen rings um ihn ereignet hatte.
Er schlenderte durch die Stadt. Es war angenehm, nach der Stille dieser letzten Wochen und ihrer engen Sammlung die Weite Roms zu spüren, sein brausendes Leben.
Josef geriet auf das Forum, das den Namen des toten Kaisers trug. Weiß und stolz hob sich vor ihm das Haus der Friedensgöttin. Am Mittwoch pflegten hier öffentliche Vorträge stattzufinden. Josef ging solchen Veranstaltungen gemeinhin aus dem Wege. Heute indes lockte es ihn, einen griechischen Redner zu hören, ohne jede Endung und Wendung auf ihre Brauchbarkeit für sein eigenes Werk hin prüfen zu müssen. Er betrat den Tempel, ging in den Rezitationssaal.
Die übergroße Zahl der literarischen Vorträge war zur Plage geworden; die Vorträge im Friedenstempel gar galten als anspruchsvoll und überkultiviert, und gewöhnlich blieb der weite, vornehme Raum leer. Doch heute konnte Josef nur mit Mühe Platz finden. Der Redner nämlich, ein gewisser Dio aus Prusa, war in letzter Zeit, vor allem durch die Protektion des Titus, sehr in Sicht gekommen, und sein Thema »Griechen und Römer« war von höchster Aktualität. Denn der schlaue Kaiser Vespasian hatte zwar dem griechischen Osten viele wirtschaftliche und politische Privilegien entzogen, hatte aber diese Unbill durch Schmeicheleien für griechische Bildung und Kultur und durch Ehrengehälter für eine Reihe griechischer Künstler und Wissenschaftler versüßt. Der Steuerzuwachs aus dem Entzug der Privilegien brachte an die fünf Milliarden, die Ehrengehälter kosteten noch keine Viertelmillion. Trotzdem hatte die Geste auf die ehrsüchtigen Griechen ihre Wirkung nicht verfehlt. Die senatorische Opposition in Rom aber, immer bestrebt, den Kaiser, da sie es durch ernsthaften Widerstand nicht konnte, durch Nadelstiche zu kränken, hatte daraufhin die »Griechlein« noch heftiger als bisher ihre altrömische Verachtung spüren lassen. Dio, der Redner von heute, der Günstling des Titus, war der Wortführer der Griechen in Rom, und man war gespannt, was er sagen und was man ihm erwidern werde.
Viel Neues brachte der berühmte Mann nicht vor, das wenige freilich in glänzender Form. Er pries vor allem, und zwar mit deutlichen Spitzen gegen die Herren von der senatorischen Opposition, die man zahlreich unter den Zuhörern sah, die geistige Freiheit, die die Monarchie gebracht habe, ein Erreichnis, das der griechische Osten besonders schätze. Politische Freiheit, führte er aus, sei ein zynisches Vorurteil. Ein so riesiger Organismus wie der des Römischen Reiches müßte, wollte man ihn statt von einem einheitlichen Willen von einer größeren Körperschaft regieren lassen, schnell in Anarchie und Barbarei zerfallen. Ein geordnetes Ganzes aber sei die Voraussetzung einer wirklichen Freiheit, der Freiheit im Geiste. Es sei also, so paradox es klinge, die Herrschaft eines einzelnen die einzige
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