Die Söhne.
Möglichkeit, geistige Freiheit zu gewährleisten. Geistige Freiheit aber sei von jeher das A und O hellenischer Kultur gewesen, und es sei somit die Monarchie die den Griechen am meisten gemäße Regierungsform. Die römische Monarchie gar entspreche durchaus den Vorstellungen, die die Besten der Griechen seit Homer sich vom Staate gemacht hätten. Sie sei keine orientalische Tyrannis, sondern eben jenes aufgeklärte Königtum, das die politische Ideologie der hellenischen Klassiker immer und immer wieder ersehnt habe. Kein Wunder daher, daß seit den Zeiten des Augustus die griechische Bildung einen neuen Aufschwung genommen habe. Jetzt seien römische Macht und griechischer Geist im Begriff, für immer harmonisch eins zu werden.
Die Herren von der aristokratischen Opposition, kenntlich an dem breiten Purpurstreif ihrer weißen Galakleider und an ihren hohen, roten, schwarzgeriemten Schuhen, hörten die Rede mißvergnügt mit an. Sie hatten gleich erwartet, daß der Sprecher des Titus sein Thema zu Ausfällen gegen sie benutzen werde. Sie beharrten auf der Fiktion, den sechshundert Senatoren stehe die Herrschaft des Reiches zu, der Kaiser sei nur der Erste unter Gleichen, und was war der Vortrag des Dio anders gewesen als ein Angriff gegen diese ihre Auffassung? Sie standen in einer anmaßlichen Gruppe zusammen, als der Redner geendet hatte. Josef, mit vielen anderen, trat näher an die Gruppe heran; man war gespannt, ob sie sich auf eine Diskussion einlassen würden. Josef lachte in seinem Innern über ihre utopischen Ansprüche. Sie waren um nichts besser, diese Herren mit den hochklingenden Titeln und Ämtern, als jene »Rächer Israels«, die seinerzeit den jüdischen Aufstand fortgeführt hatten, als er längst besiegt war.
Jetzt begann wirklich einer von den jüngeren Herren zu reden. Er wagte es nicht, die monarchistischen Theorien Dios anzugreifen, er zog es vor, seinen Ärger in Schmähungen des Griechentums zu entladen. Wenn es im Osten immer wieder zu Reibungen komme, führte er aus, so liege das nur am Dünkel der Griechen. Die wollten den Römern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätten, was einem Römer anstehe und was nicht. Wie sähen sie denn in Wahrheit aus, diese Menschen, die sich als das Salz der Erde betrachteten? Schnelle, witzige Urteile hätten sie bei der Hand, das leugne er nicht, ihre Beredsamkeit sei betäubend, aber sie seien höchst unbedenklich in der Wahl ihrer Argumente. Ihre leicht angeregte Phantasie hindere sie, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Außerdem habe lange Knechtschaft sie zur Schmeichelei erzogen, ihre komödiantischen Talente entwickelt. Natürlich könne man diese Eigenschaften auch mit freundlicheren Worten bezeichnen, könne sie Anpassungsfähigkeit nennen, Anmut des Wesens und der Rede, Erfindungsgabe, Geschäftsgewandtheit. Wenn aber die Griechen sich ernstlich mit Rom verständigen wollten, täten sie gut, sich selbst zu sehen, wie sie seien. »Wir hier«, schloß er, »halten es gewiß für einen Vorzug, gut zu reden und zu schreiben und schöne Bilder zu malen. Aber die Fähigkeit, ein Reich und eine Armee zu organisieren, scheint uns wertvoller. Wir sind nicht gewillt«, fügte er bei, anspielend auf das hohe Ansehen, das Dio bei Hofe genoß, »es hinzunehmen, daß bei Tafel ein Jemand, den der gleiche Wind in unsere Stadt wehte, der uns die Damaszenerpflaumen bringt und die syrischen Feigen, vor uns den Vorrang hat. Daß wir von Kind auf die Luft des Aventin geatmet und uns mit sabinischer Frucht genährt haben, halten wir für einen Vorzug, den wir gegen keine Fixigkeit griechischer Rede vertauschen möchten.«
Josef, so plump ihm dieser Ausspruch römischen Stolzes schien, hörte es gern, daß der Mann den Griechen so hochmütig abfertigte. Viele hatten sich um die Gruppe gesammelt, Griechen und Römer, aufmerksam lauschend. Der Redner Dio stand dem jungen Aristokraten gegenüber, lang, elegant, sehr sicher, ein verbindliches Lächeln um den dünnen Mund. Er schien gleichmütig, aber man sah, wie es hinter seiner hohen, steilen Stirn arbeitete, und wartete gespannt, wie jetzt der griechische Professor, dieses Licht aus dem Osten, dem jungen, hoffärtigen Römer seine Frechheiten heimzahlen werde.
Allein noch bevor Dio den Mund auftat, hatte ein anderer sich an diese Aufgabe gemacht, ein Mann mit einem großen, gescheiten Kopf auf einem mageren, eleganten Körper. Der Teint des Mannes war von krankhafter Blässe,
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