Die Söhne.
tolerant, aber der Kaiser, jeder Kaiser, greift oft ein in die Rechte Jahves und macht es den Juden nicht leicht. Der alte Herr wiegt den klugen Kopf. Es ist schwer, ein guter Jude und zugleich ein guter Römer zu sein. Es ist schwer für ihn selber, seine Möbelfabrik, die erste in Rom, auf der Höhe und zugleich alle Gebote Jahves zu halten. Sein Vater, den er sehr liebte, hat sein Alter vergällt gesehen durch die inneren Konflikte, die diese Situation mit sich brachte. Es wird auch diesmal, erklärt er, nicht so einfach sein, wie die Herren es sich vorstellen. Es wird wahrscheinlich noch viel Wasser den Tiber hinunterfließen, ehe die Prinzessin Berenike Kaiserin ist, und wenn sie es wirklich wird, wer weiß, wieviel von ihrem Judentum sie dafür wird preisgeben müssen. Man hat da Beispiele.
Alle wissen, an wen der kluge, kopfwiegende Herr denkt. Der Schriftsteller Josef Ben Matthias ist den Juden Ursache ständigen Zankes und Ärgernisses. Dieser Mann, sein Leben, sein Buch, sein vielfacher Verrat und sein vielfaches Verdienst um die Judenheit, bleibt ihnen ein Rätsel. Das regierende Kollegium von Jerusalem hat ihn seinerzeit in den Bann getan. Einige von den Doktoren in Rom sind der Ansicht, nach dem Untergang des Tempels gelte dieser Bann nicht mehr. Aber den meisten Juden der Stadt ist Josef gleichwohl ein Abtrünniger, und sie halten, wenn er in ihre Nähe kommt, die sieben Schritte Abstand wie vor einem Aussätzigen. So auch hält es Cajus Barzaarone.
»Ich glaube«, sagt der Finanzmann Claudius Regin, und die schlauen, schläfrigen Augen unter seiner vorgebauten Stirn schauen gerade und unverwandt in die listigen, beweglichen des Möbelhändlers, »ich glaube, es wird sich jetzt zeigen, daß Doktor Josef Ben Matthias sein Judentum nicht vergessen hat.« Er gibt Josef mit Absicht seinen jüdischen Namen und Titel. Er möchte die Gelegenheit benützen, für ihn bei den Juden etwas herauszuschlagen. Wahrscheinlich weiß der sehr weltkundige Herr besser als die Männer hier auf der Tribüne um die vielen brüchigen Stellen im Wesen des Josef, und oft in seiner mundfaulen Art gibt er ihm das zu verstehen. Gleichwohl hat er eine aus den Tiefen kommende Neigung für ihn, er hilft ihm, wo er kann, und hat als des Josef Verleger einen großen Teil seines Ruhmes geschaffen.
Die Juden auf der Tribüne hören aufmerksam zu, wie Claudius Regin zu sprechen beginnt. Er betont zwar immer, er gehöre nicht zu ihnen, er sei froh, daß sein sizilischer Vater dem Drängen seiner jüdischen Mutter widerstehend, ihn nicht habe beschneiden lassen. Aber, alle wissen es, wenn einer ein Freund der Juden ist, dann dieser Claudius Regin. »Ich glaube«, fährt er fort, »es wäre gut, den Doktor Josef Ben Matthias zu unterstützen, wenn er sein Judentum beweisen will.« – »Kann man einen dabei unterstützen?« brummelt ablehnend Cajus Barzaarone. Aber Claudius Regin weiß, die Juden auf der Tribüne werden sich seine Worte überlegen.
Der Zug nahte, umkreiste das Marsfeld. Die auf der Tribüne erhoben sich, den Arm mit der flachen Hand ausstreckend, grüßten den toten Kaiser. Aber worauf sie warteten, alle, gespannt, das war nicht der tote, das war der lebendige Vespasian, der Schauspieler, ihr Schauspieler, Demetrius Liban, der Jude. Und da kam er auch schon, von weit her erkannte man sein Nahen an dem stürmischen Gelächter, das ihm voranging. Zwischen dem Senat und den Gruppen des Zweiten Adels schritten sie, der ganze Trauerzug der Ahnen, ein zweites Mal, dargestellt wiederum von Tänzern und Schauspielern, aber Masken und Gesten schärfer jetzt, grotesk, ins Komische verzerrt. Und da, endlich, als ihr letzter, Vespasian. Unser Demetrius Liban.
Nein, das war nicht Demetrius, das war wirklich Vespasian. Ein Jammer, daß der Tote sich nicht mehr selber sehen kann, es wäre ihm ein Hauptspaß. Mit derben, kräftigen Schritten ging Demetrius-Vespasian einher, seine Lippen waren vielleicht ein Winziges länger, seine Falten ein Winziges härter, ein Winziges breiter seine Stirn, ein Winziges nüchterner, vulgärer das ganze Gesicht als das des Toten da vorne. Aber gerade darum war er doppelt Vespasian. Leiblich gemacht war den Hunderttausenden der ganze Kontrast zwischen der Würde und Mystik römischer Kaisermacht und der bäurisch rechenhaften Persönlichkeit ihres letzten Trägers. Jubelnd begrüßten sie ihren Kaiser, wie er da zwischen ihnen einherschritt, Spott austeilend, Spott hinnehmend. Er sei
Weitere Kostenlose Bücher