Die Söhne.
nicht entgelten lassen. Dennoch war mit der Zerstörung ihres Staates und ihres Tempels schwerer Kummer über sie hereingebrochen. Obwohl viele von ihnen schon seit fast anderthalb Jahrhunderten hier in Rom saßen, hatten sie nie aufgehört, ihr Judäa als ihr Heimatland zu betrachten, und alle paar Jahre waren sie, frommes Glück im Herzen, zum Passahfest nach Jerusalem gewallfahrtet, zum Hause Jahves. Jetzt waren sie für immer dieser ihrer wahren Heimat beraubt. Nicht nur das: sie wurden Tag um Tag auf eine besonders demütigende Art an die Zerstörung ihres Heiligtums erinnert. Der Mann nämlich, dessen Leiche man jetzt hierhertrug, war nicht geneigt gewesen, ihnen die kleine Abgabe zu schenken, die sie früher für den Tempel in Jerusalem gezinst hatten. Er hatte vielmehr voll bösartigen Witzes verordnet, daß die fünf Millionen Juden des Reiches diese Steuer nunmehr für den Kult des Capitolinischen Jupiter zu entrichten hätten. Bei Todesstrafe war es ihnen verboten, sich dem Areal ihres eigenen, verwüsteten Tempels im Umkreis von zehn Meilen zu nähern: in höhnischem Glanz aber hob sich vor ihren Augen, von ihrem Geld neu errichtet, das Heiligtum der Capitolinischen Trinität, das Haus jenes Jupiter, der nach der Meinung dieser Römer ihren Jahve besiegt und in den Staub getreten hatte.
Und nicht nur diese schimpfliche Sondersteuer drückte sie. Da war noch die Frage der Emigranten aus Judäa. Der Krieg hatte eine ungeheure Menge Juden von dort weggespült. Die östlichen Provinzen mit ihren großen Städten Antiochien und Alexandrien hatten Hunderttausende aufgenommen; aber ihrer dreißigtausend etwa waren bis in die Hauptstadt gelangt. Es gab in Rom Juden von großem Reichtum und großem Einfluß, doch die Mehrzahl waren Proletarier, sie wohnten kümmerlich in freiwilligem Ghetto auf dem rechten Tiberufer, sie erregten durch ihr Elend und ihre Absonderung Unwillen und Gelächter, und der neue Zustrom zumeist bettelhafter Emigranten war den Altangesessenen unwillkommen. Dazu kam, daß zahllose Juden durch den Krieg Leibeigene geworden waren; noch immer bestand ein großer Teil des Menschenmaterials, das den Vorrat für die Tierhetzen und die andern blutigen Spiele der Arena bildete, aus Juden.
Selbstverständlich versuchte man von diesen Leibeigenen so viele wie möglich freizukaufen; allein das erforderte große Mittel, und wen man freigekauft hatte, der lag einem auf der Tasche. Dabei schickten die jüdischen Gemeinden Alexandriens und Antiochiens immer wieder Delegierte, nun möchten doch auch die römischen Juden endlich größere Summen für die gemeinsamen Hilfskomitees stiften. Richtig war, daß jene östlichen Gemeinden für die Kriegsopfer ungleich höhere Beträge aufgebracht hatten als Rom. Aber Rom konnte eben nicht mehr leisten; es war schmerzhaft, immer wieder daran erinnert zu werden, wieviel reicher und mächtiger die östlichen Juden waren als die westlichen, immer wieder zu spüren, mit welchem Hochmut sie auf die Westjuden herabschauten.
Heute aber quälten diese Gedanken die Juden der Stadt Rom nicht so hart wie sonst. Vespasian war tot. Auf der Tribüne des Marsfeldes saßen die Repräsentanten ihrer sieben Gemeinden, ihre Präsidenten, Syndici und Doktoren, und warteten darauf, daß er unter die Götter eingehe. Sie versprachen sich manches von der Zeit, da dieser Vespasian endlich ein Gott und Titus Kaiser sein wird. Das Bild der Berenike hing groß und jedem sichtbar im Empfangsraum des neuen Herrn, sehr bald wird die jüdische Prinzessin auf dem Palatin einziehen. Sie wird, eine neue Esther, ihr Volk aus den Demütigungen retten, die seine Feinde ihm antun.
Die sieben Gemeinden liebten einander nicht. Die eine war modernistisch, liberalistisch, eine andere zählte nur Leibeigene und Freigelassene zu ihren Mitgliedern, wieder eine andere nur römische Bürger und große Herren; dennoch waren sie alle, Vornehme und Proletarier, freier Denkende und streng Ritengläubige, verbunden durch den gemeinsamen Schmerz um den verlorenen Staat, durch die gemeinsame Schmach der Judensteuer und der Eintragung in besondere Steuerlisten und jetzt durch die gemeinsame Hoffnung auf Umschwung.
Die jüdischen Herren auf der Tribüne saßen in einer großen Gruppe. Cajus Barzaarone, der Präsident der AgrippenserGemeinde, der mitgliederreichsten, ist nicht so zuversichtlich wie die übrigen Herren. Er hat viel erlebt und viel gesehen. Jahve ist ein gütiger Gott und ziemlich
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