Die Söhne.
seine Hände dünn, unmäßig lang. Aber man sah diese Blässe nicht mehr und nicht mehr die großen, dünnen Hände, sowie er erst zu sprechen angefangen hatte, man hörte dann nur mehr seine tiefe, wohlklingende, wandlungsfähige Stimme. Josef hatte das an sich selber erfahren. So zuwider ihm sein Sekretär Phineas war, er konnte sich dem Zauber seiner Rede schwer entziehen. Daß aber dieser Phineas sich an solchen Diskussionen beteiligte, hatte er bisher nicht gewußt, und er hörte aufmerksam und betreten zu.
Was Phineas sagte, war bis zur Gefahr tapfer. »Es ist nicht ausgemacht«, meinte er, und sein Ton war besonders höflich, »ob wir Griechen, wenn wir unsere ganze Intensität auf Erhaltung unserer politischen Freiheit gerichtet hätten, besiegt worden wären. Wer Isokrates aufmerksam liest, der erkennt, daß es unter uns jederzeit Männer gab, die unsere politische Freiheit bewußt preisgeben wollten, um unsere geistige Freiheit zu wahren. Darin hat dieser große, weise Herr Dio aus Prusa zweifellos recht. Allein nicht zu dem Zweck haben wir auf unsere politische Souveränität verzichtet, um uns jetzt von Männern heruntermachen zu lassen, die die Zusammenhänge nicht überblicken. Wir haben ein Universalreich angestrebt. Rom hat, im Rohbau wenigstens, dieses Universalreich geschaffen. Wir müssen uns aber dagegen verwahren, daß man uns unseren Anteil abspricht. Wir geben Rom, was Roms ist: man anerkenne, was unser ist. Unser Anteil ist nicht gering. Nehmen Sie der römischen Bildung ihre griechische Grundlage, und alles stürzt zusammen. Cicero ist nicht denkbar ohne Demosthenes, Virgil nicht ohne Homer. So gewiß in Politik und Wirtschaft Rom der Welt Gesetze gibt, so gewiß trägt alles Geistige unsere hellenische Prägung. Kaiser Vespasian hat uns Freiheiten entzogen, die ein früherer Monarch uns gegeben hat. Wir beklagen uns nicht darüber. Wir haben auch nicht groß gejubelt, als jener andere uns diese Freiheiten verlieh. So mächtig der römische Kaiser ist, die Dinge, die uns Griechen die wichtigsten auf der Welt scheinen, kann er uns nicht nehmen und nicht geben. Er kann sie bestenfalls von uns emp fangen. Der junge Herr, der von der Höhe seines Senatorenschuhs so tief auf uns ›Griechlein‹ in unseren silbernen Sandalen herabschaut, möge wissen, daß wir bei all unserer Schmiegsamkeit eine Eigenschaft nicht umbiegen und nicht umlügen, niemandem zuliebe: den Stolz, Griechen zu sein. Macht ist eine große Sache, Politik ist eine große Sache, aber im Bereich des Geistes, vom Standpunkt des ordnenden Philosophen aus, sind die Politiker nichts Besseres als Polizisten, ausführende Organe des Alleinherrschers Geist. Ohne Aristoteles, ohne griechische Ideologie wäre Alexander nicht möglich gewesen. Und was ist dieses große Römische Reich anders als, in kleinerem Format, die Wiederholung dessen, was als erster Alexander geschaffen hat?«
Josef stand ziemlich weit hinten. Er konnte Phineas schlecht sehen und hoffte nur, der habe ihn nicht gesehen. Die Stimme des Mannes drang in ihn. Der Mann brauchte keine großen Worte zu machen, eine leise Schwingung seiner Stimme, und sein Gegner war begraben unter einem Berg von Hohn. Betroffen nahm Josef wahr, wie selbst die eisig hochmütigen römischen Aristokraten sich seiner Rede nicht entziehen konnten. Sie machten Miene, zu gehen, aber sie blieben, sie hörten zu, sie schauten auf den großen, blassen Kopf, aus dem geflügelt die Worte kamen. Josef verstand die Tiefe dieses Erfolgs. Phineas sprach vor Männern, die ihm nicht gewogen waren, er, der Freigelassene, vor Männern des höchsten Adels. Es war sicherlich nicht das erstemal, daß er bei einer solchen Gelegenheit sprach: so spricht keiner, der das erstemal spricht. Wie kam es, daß er ihm niemals ein Rühmens aus seiner Begabung gemacht hat? Welcher Hochmut von dem Freigelassenen, welch innerer Vorwurf für ihn selber, daß er es nicht für der Mühe wert hielt, ihm davon auch nur zu sprechen.
Aber mehr als das alles traf ihn der Inhalt dessen, was der Mann sagte, dieser selbstverständliche Stolz auf die griechische Superiorität. Waren das nicht seine eigenen Träume von jüdischer Überlegenheit, nur eben angewandt aufs Griechentum? Wenn, wie Phineas mit Recht sagte, dieses große Römische Reich nichts anderes war als eine Nachahmung der schon von Alexander erreichten Universalmonarchie, war dann das jüdische Schicksal, selbst wenn es bis zu den Höhen geführt werden
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