Die Söhne.
was Liebe heißt und was Begehren heißt, und alle Verse des Hohenliedes beziehen ihm Sinn nur mehr aus ihr. Ihre Haut duftet wie Sandelholz, ihr Atem aus dem vorstehenden, begehrlichen Mund ist wie die Luft Galiläas im Frühling. Es gibt wenig Frauen, die er länger lieben kann als die Zeit, in der er körperlich mit ihnen zusammen ist. Auf alle Frauen in der Welt könnte er verzichten: aber daß er leben sollte ohne diese Frau Dorion, kann er sich nicht ausdenken.
Sie gehören zusammen. Sie ist die Frau seiner Rippe, und sie spürt es. Was alles hat sie ihm geopfert. Kurz nach ihrer Hochzeit schon hat er sich von ihr trennen müssen, um in Begleitung des Kronprinzen vor Jerusalem zu ziehen und den Fall der Stadt mit anzuschauen. Wie hat sie sich gehalten, als er endlich zurückkam, nur um sie von neuem wegzuschicken. Zeitlebens wird er sie vor sich sehen, wie sie damals dastand, schweigend. Leicht und rein hob sich auf ihrem steilen Kinderhals der lange, dünne Kopf mit dem großen Mund. Sie schaute ihn an mit ihren meerfarbenen Augen, die zusehends dunkler wurden. Er sah ihre Haut, er wußte, daß diese Haut süß, glatt und sehr kalt war. Sie war alle Süßigkeit der Welt, diese seine Frau Dorion, und endlos hat sie ihn erwartet, und nun war er zurück, und sie stand vor ihm, und sie war ganz Verlangen nach ihm. Da war aber sein Buch, dieses verfluchte Buch, um dessentwillen er so vieles auf sich genommen hat, und wenn er bei ihr blieb, dann konnte er es nicht schreiben, und wenn er es jetzt nicht schrieb, dann entflog es ihm für immer. Er mußte ihr das sagen, er mußte sie wegschicken. Sie aber stand da, hörte ihn, hielt ihn nicht, sagte kein Wort des Widerspruchs. Nicht einmal, daß sie ihm einen Sohn geboren hatte in der Zeit, da er vor Jerusalem gewesen war, sagte sie ihm.
Sehr anders war die Dorion von heute als jene Dorion. Während der fünfzehn Monate, da er sein Buch schrieb, dieses gesegnete, verfluchte Buch, hatte sie sich zurückverwandelt in die spöttische, hochmütige Dame von früher, jenes alexandrinische Mädchen, kühl und neugierig, angefüllt mit den leichtfertigen Gesichten der griechischen Fabelwelt. In solcher Gestalt war sie zu ihm gekommen, als er sie nach der Vollendung seines Buches zurückgerufen hatte. Sie war streitbar geworden, kritisch. Sie habe, hatte sie ihm erklärt, nun die schimpfliche Judensteuer eingeführt sei, ihren Übertritt zum Judentum rückgängig gemacht, und sie denke nicht daran, den kleinen Paulus beschneiden zu lassen. Es hatte wilden Streit gegeben. Er wollte es nicht dulden, daß man seinen Sohn als Griechen erziehe, daß sein Sohn ausgeschlossen bleiben sollte aus der Gemeinschaft der Erwählten, Gottgläubigen. Aber seine Ehe als die eines römischen Vollbürgers mit einer Frau ohne römisches Bürgerrecht war vor dem Gesetz nur eine Ehe halber Legalität. Paulus unterstand der Vormundschaft der Mutter, war ägyptischer Grieche wie sie. Josef konnte ihn ohne ihre Einwilligung nicht zum Juden machen. Es wäre ihm nicht schwergefallen, seiner Ehe Vollgültigkeit zu erwirken, der Junge wäre dadurch zum Mitglied des Zweiten Adels geworden wie er selber. Wie oft hatte er Dorion bestürmt, darein zu willigen. Er wollte alles vorbereiten, es hätte sie einen einzigen Gang vor Gericht gekostet. Dorion lehnte ab. Damals in Alexandrien hatte sie darauf gedrängt, daß er das Bürgerrecht erwerbe. Sie hatte es zur Vorbedingung ihrer Ehe gemacht, daß er das Unmögliche erwirke und binnen zehn Tagen römischer Vollbürger sei. Jetzt zog sie es vor, Bürgerin Zweiter Klasse zu bleiben, nur damit der Junge auch weiter ihrer Vormundschaft unterstehe und kein Jude werde.
Paulus. Des Josef ganzes Herz hängt an dem Jungen. Aber Paulus ist der Sohn seiner Mutter. Er schaut auf zu dem Griechen, dem Leibeigenen, dem erst Josef die Freiheit geschenkt hat. Ihn liebt er, diesen verfluchten Phineas. Wenn Josef an ihn heranwill, sperrt er sich zu, ist fremd und höflich, wahr scheinlich schämt er sich seines Vaters, weil der ein Jude ist. Er selber ist ein Grieche, der kleine Paulus. Allein wenn jetzt, unter Titus, alles sich ändern wird, wird Josef dann nicht endlich die Wand niederreißen können zwischen sich und dem Jungen? Es muß ihm glücken. Er wird noch höher steigen, noch mehr Erfolg um sich häufen, und Dorion wird sich überzeugen lassen, wird ihm helfen. Sie wird begreifen, daß jetzt der Schriftsteller Flavius Josephus die Zukunft seines Sohnes
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