Die Soldaten
chaotischen Chlayst war das nie passiert. Die Menschen waren verreckt, die Flammen hatten die Kinder verzehrt. Aber das war nicht Fennas Schuld gewesen. Ein Sumpf war wahnsinnig geworden.
»Kindem und seine Hand, das ist gar nicht so schlimm. Er kann das alles noch zum Guten wenden. Er hat einen Unterarm verloren in den Diensten der Königin. Nicht bei irgendeinem kleinen Mist, sondern gegen einen ausgewachsenen Panzerlöwen. Den Angriff eines solchen Ungeheuers überhaupt überlebt zu haben ist schon aller Ehren wert. Er hat den stinkenden Atem des Todes gespürt und überstanden. Das war sogar richtig geschickt von ihm, seinen Schildarm zu opfern, um seinen Waffenarm, seinen Kopf, sein Leben zu schützen. Aber Garsid kann gar nichts mehr sagen. Für ihn ist alles vorüber. Jegliche Schuld, die er noch zu begleichen hatte: unbegleichbar. Jeglicher Dank, den ihm noch jemand abzustatten hatte, kann nie vergolten werden. Wie vielen Menschen fügt man einen Verlust zu durch einen einzigen Tod? Wahrscheinlich allen, die den Toten je gekannt haben.« Fenna bemerkte erst jetzt, dass er laut nachgedacht hatte. Ilintu tat besonders beschäftigt, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Also redete er einfach weiter, als sei er mit sich selbst alleine. »Was ich auch seltsam finde, ist, dass ich erst jetzt so richtig begreife, dass es Garsid nicht mehr gibt. Was war in den fünf Stunden, die wir in der Nacht hierher geruckelt sind, mit der Leiche an Bord und dem bibbernden Kindem? Woran habe ich in diesen fünf Stunden gedacht? An nichts. An die grausame Dunkelheit jenseits unseres Fackelscheins. An die vielen Tausend Augen des Feindeslandes, die uns beobachten, mit Staunen, mit Unverständnis und mit Gier.«
»Jetzt glaubst du also auch daran«, wagte Ilintu ein Nachhaken.
»Woran?«
»An das Feindesland. An diesen Mythos, der nur darauf aus ist, uns zu fressen. Dabei tut er uns nichts, wenn wir ihm nichts tun.«
»Garsid hatte dem Land nichts getan.«
»Aber er war dort, wo er nichts zu suchen hatte. Dafür musste er einen Preis entrichten. Und als Soldat in der königlichen Uniform war er sogar bereit dazu.«
Fenna starrte die Heilerin an, dann glitt sein Blick wieder ins Leere. Sie schien mit seinem Knie fertig zu sein. »Eine hässliche Verdrehung der Bänder. Eigentlich nichts Weltbewegendes, aber da du unbedingt fünf Stunden mit diesem Bein durch die Gegend humpeln musstest, sollte ich dich auch besser zwei bis drei Tage hierbehalten. Du kannst gleich den leckeren Tee kosten, den auch Kindem und der Junge schon genossen haben.«
»Nicht, wenn sich’s irgendwie vermeiden lässt. Sei mir nicht böse, Ilintu, aber ich habe den gesamten letzten Winter in einem Lazarett verbracht. Das reicht mir für dieses und die nächsten vier Jahre. Ich will in meinem eigenen Bett schlafen.«
Sie zuckte die Schultern. »Was immer der Offizier für das Beste hält. Ich bin ja nur eine einfache Heilerin, was weiß ich schon von der Welt?«
Fenna berührte sie zärtlich an der Schulter, dann stemmte er sich hoch und hinkte über den stetig dunkler werdenden Hof zu den Offiziersquartieren.
Die Geräusche, die er im Flur vernahm, ließen ihn zuerst denken, ein Pärchen gäbe sich heimlich dem Liebesspiel hin, aber als er die Tür zu seinem und Gyffs’ Zimmer erreichte, begriff er, was los war. Leutnant Loa Gyffs schluchzte, allein im dunklen Raum. Sie mochte eine gute Weile dagegen angekämpft haben. Aber dann hatte sie ihn nicht mehr zurückhalten können, den Schmerz, den das Feindesland ihnen allen zugefügt hatte.
Fenna verstand sie vollkommen. Hätte er sich nicht so schwach und ausgelaugt gefühlt, hätte er sich vielleicht auch seinen Tränen überantwortet. Er beneidete Gyffs beinahe um die Unmittelbarkeit ihrer Jugend.
Aber sie würde es hassen, wenn er Zeuge ihrer Schwäche würde.
Also machte er kehrt, hinkte ins Lazarett zurück, ließ sich von Ilintu den Kräutertee reichen und schlief in einem der leeren Krankenbetten – ohne Träume, ohne Kinder, ohne Soldaten und ohne Hoffnung.
V IERTER T EIL
Magie
1
Die Dritte Kompanie verbrachte den ersten Tag nach der Rückkehr mit Nichtstun. Niemand bewegte sich mehr, als es unbedingt notwendig war, aus seinem Quartier heraus. Die Männer sprachen leise über das Vorgefallene, und sie staunten darüber, dass jeder von ihnen etwas anderes zu sehen geglaubt hatte. Andere Heldentaten, andere Peinlichkeiten, andere Missverständnisse, unterschiedliche Versionen von
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