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Die Soldaten

Die Soldaten

Titel: Die Soldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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davon aus, dass ich übermorgen Abend nichts Besseres vorhabe?«
    »Ich frage ja.«
    Sie seufzte. »Was soll ich denn auch vorhaben in dieser Festung im Niemandsland? Wir haben also eine Verabredung, Leutnant.«
    »Zum Sonnenuntergang?«
    »Das ist mir schon zu spät. Ich stehe morgens noch früher auf als Ihr. Wie wäre es mit zwei Stunden vor Sonnenuntergang?«
    »Gut.«
    Fenna verließ das Lazarett und ging hinüber zu den Mannschaftsquartieren. Dort erkundigte er sich, wo der Schreiber Lement untergebracht war. Es stellte sich heraus, dass das Festungsgesinde, die Wachtposten, Wäscherinnen, Köche, Ordonnanzen und Schreiber in einem eigenen Gebäude wohnten. »Neben dem Friedhof«, bedeutete man Fenna.
    In der nordöstlichen Ecke der Festung, dem Feindesland zugewandt, gab es einen Bereich, der in ewig währendem Schatten lag. Hier waren etwa zwanzig schlichte Grabstellen angeordnet. Jeweils ein Name, ein Rang, ein Todestag und als Emblem der Festung Carlyr das verschnörkelte »C«. Fenna hatte mehr als zwanzig Gräber erwartet nach dem gescheiterten Feldzug. War nicht das gesamte Erste Bataillon umgekommen? Drei Kompanien zu jeweils dreißig Mann?
    Er betrat die Unterkunft der zivilen Armeehelfer und fragte sich bis zu Lements Kämmerchen durch. Der Schreiber war gerade am Mittagessen, bat den Leutnant aber freundlich herein.
    »Dürfen die Zivilisten nicht in die Mannschaftsmesse?«, erkundigte sich Fenna.
    »Doch, natürlich. Es ist mir nur zu laut dort. Ich lese beim Essen gerne ein Buch. Das Witzereißen und das Grölen … Ihr versteht sicher.«
    »Klar.« Fenna warf einen Blick auf den Bucheinband. Im Spiegelkabinett der Handwerkskunst Fairais stand dort geschrieben. Ein wissenschaftlicher Druck, von dem wahrscheinlich nur zwanzig verhältnismäßig kostbare Exemplare hergestellt worden waren. Lements Zimmer war voller solcher Schriftstücke. »Warst du im Regenmond schon hier in der Festung?«
    »Ja, ich bin bereits seit fünf Jahren hier.«
    »Ich habe mich gerade darüber gewundert, dass es nur zwanzig Grabmale auf dem Friedhof gibt. Sind nicht Hunderte von Rückkehrern des Feldzuges hier gestorben?«
    »Na ja, nicht Hunderte. Aber mehr als hundert. Es war schrecklich, auch für uns Schreiber. Wir mussten Identifikationen vornehmen. Die Königin hatte angeordnet, dass die Toten zu ihren Heimatregimentern überstellt werden. Deshalb wurde keiner von denen hier bestattet, sondern es gingen Leichenkarren raus ins regenschwere Land. Die Karren kamen leer in die Festung und wurden dann von uns befüllt. Alle haben mit angefasst. Die Festung wird diesen Gestank nie wieder loswerden.«
    »Ich kann eigentlich nichts riechen. Im Vergleich zu Chlayst riecht es hier richtig gut und frisch.«
    »Na ja, das ist jetzt drei Monde her. Vielleicht habe ich den Gestank auch einfach nur noch in der Nase, als Erinnerung, und werde ihn deshalb niemals mehr los.«
    »Und das Erste Bataillon? Neunzig Mann? Wo sind die bestattet?«
    »Die sind, wie man so schön sagt, im Feld geblieben .« Lement lächelte. Falten der Magerkeit bildeten sich dabei um seinen Mund. »Die haben keine Gräber. Wenn man an Geister glaubt, muss man davon ausgehen, dass sie nun umgehen. In und jenseits der Felsenwüste.«
    »Jetzt verstehe ich«, sagte Fenna leise. »Deshalb ist Hauptmann Gollberg so besessen davon, Überlebende zu suchen. Die Toten wurden nie gefunden.«
    »Genau. Für tot erklärt aufgrund der Umstände. Aber womöglich noch gar nicht richtig tot. Die offizielle Lesart lautet: 2000 Soldaten gingen hinein ins Affenland. 211 starben unterwegs, bei Scharmützeln, durch Ungeheuer, durch Felslawinen. 428 wurden krank durch den gelben Qualm, der überall wabert. 570 starben, als an einem Ort namens Skorpionshügel ein zerstörerisches Feuer entzündet wurde, weil die Magie der Menschen auf die Magie der Affen krachte. 1219 traten den Rückzug an unter Führung des Hauptmanns Serian Gayo aus Schreer. Beinahe die Hälfte von denen war krank. Von den Kranken starben auf dem Rückweg weitere 289. Von den Gesunden 106 durch vereinzelte Angriffe der Affenmenschen. Und hier gibt es eine kleine Diskrepanz. Wenn 1219 vom Skorpionshügel aus aufgebrochen sind und 395 unterwegs fielen, hätten rechnerisch 824 die Festung Carlyr erreichen müssen. Es waren aber nur 602 Soldaten, die hier ankamen. 222 sind unterwegs verschollen. Verschwunden. Verschleppt, verirrt, eingebrochen in den Boden – niemand weiß es. Von den 602, die die Festung

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