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Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Die Somalia-Doktrin (German Edition)

Titel: Die Somalia-Doktrin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Grenton
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Mutter für ihn gewesen, seit seine eigene Mutter gestorben war. Abdi hatte Faadumo bei der Fürsorge um seinen einzigen Sohn um Hilfe gebeten, und lieb wie sie war, erklärte sie sich, ohne zu zögern, dazu bereit.
    Mit erstaunlicher Kraft zog Khalid am Griff und stieß die Tür mit den Füßen auf. Sie krachte gegen den Wachposten, der einen spitzen Schrei ausstieß.
    Abdi rief: »Nein!«, aber sein Sohn hörte nicht auf ihn.
    Der Kleine sprang aus dem Laster und lief auf seine Tante zu, die man mittlerweile bösartig mit Füßen trat. Der Junge stürzte sich auf ihren Angreifer, klammerte sich an seinen Rücken und zog ihm die langen, im Lauf der Jahre zu harten Klauen gewordenen Fingernägel übers Gesicht. Aber das Überraschungsmoment währte nicht lange. Der Milizmann drehte sich so abrupt um, dass der Junge davonflog und im Dreck landete.
    Khalid versuchte wieder auf die Beine zu kommen, aber er hatte eine Gehirnerschütterung. Mit drei langen Schritten stand der Milizmann über Khalid und hob das Gewehr hoch über den Kleinen. Der Kolben zielte auf seinen Kopf.
    Abdi spürte, wie sein Herz einen Schlag aussetzte, als er die Szene verfolgte. In einem vergeblichen Versuch, sich zu schützen, hob sein Sohn einen Arm. Den Gewehrkolben vermochte das nicht aufzuhalten; er krachte in das nach oben gerichtete kleine Gesicht. Abdi meinte noch im Laster, das Krachen des Holzes gegen die Knochen zuhören, obwohl er wusste, dass das nur Einbildung war. Khalid kippte zurück auf die Erde, wo er reglos liegenblieb. Der Milizmann drehte das Gewehr um und richtete es auf ihn.
    Abdi schlug die Hände vors Gesicht. Er konnte nicht mit ansehen, was da kommen musste: die Hinrichtung seines Sohnes durch einen Milizmann, der selbst kaum achtzehn Jahre alt war. Eine Welle von Hass überkam ihn. Jahre hatte er in Flüchtlingslagern gelebt, überall in Ostafrika, aber nie war er so bitter gewesen, hatte sich so hilflos gefühlt.
    Er hörte jemanden rufen. Er spähte zwischen den Fingern hindurch. Der Kriegsherr bellte einige Befehle. Der Milizmann war davongelaufen und hatte Khalid liegen lassen. Der Kopf des Kleinen war blutüberströmt. Faadumo lag neben ihm, ihr Körper von Schluchzen geschüttelt. Ihr Kleid war zerrissen und gab Partien ihres geschundenen Körpers auf eine Weise den Blicken preis, wie es unter normalen Umständen undenkbar gewesen wäre.
    Die Milizleute waren weiter ins Innere des Lagers vorgedrungen. Die Schüsse schienen von weiter weg zu kommen. Abdi wischte sich den Schweiß aus den Augen, stolperte aus dem Laster und hinkte hinüber zu seinem Sohn. Er tippte Faadumo mit seinem Stock an, aber sie wollte nicht reagieren. Er bückte sich, um ihre Schulter zu schütteln. Sie fuhr kreischend herum und hob sich eine schützende Hand vors Gesicht. Sie senkte sie erst wieder, als sie sah, wer es war.
    Abdi musste all seine Willenskraft zusammennehmen, um etwas zu sagen. »Ist er tot?«
    Faadumo nickte und begann wieder zu weinen. Sie zitterte am ganzen Leib. Abdi bückte sich, um seinen Sohn aufzunehmen, der so dünn war, dass er sich anfasste wie ein in Lumpen gewickeltes Bündel Holz. Er trug den Jungen hinüber zum Truck. Abdi konnte sich nicht denken, warum man ihn und den Jungen in den Laster geworfen hatte, wo man so offensichtlich darauf aus war, alle im Lager zu massakrieren. Aber egal was passierte, die Leiche seines Sohnes war bei ihm. Es war alles, was er noch besaß.
    Er setzte sich auf den Beifahrersitz und strich Khalid übers Haar, wie er das früher gemacht hatte, als sein Sohn noch ganz klein gewesen war und seiner Alpträume wegen nicht hatte schlafen können. Er sah zu, wie Faadumo sich in einer Hütte verkroch, um sich zu verstecken. Sie zog eine Blutspur hinter sich her. Zwei geifernde Hunde folgten ihr.
    Abdi blickte auf seinen Sohn hinab. Seine Backenknochen waren ebenso eingeschlagen wie seine Nase. Sein rechtes Auge war völlig verquollen. Aber mit einem Mal hustete der Kleine und Abdi schrie auf.
    »Du lebst! Allah sei Dank!«
    Der Junge hustete wieder. Sein Vater sah sich Kopf und Körper des Kleinen genauer an. Er konnte keine Schusswunden finden. Aus irgendeinem Grund hatte der Milizmann sich entschlossen, ihn nicht zu erschießen. Abdi dankte Allah und spürte seine Entschlossenheit zurückkehren.
    Es musste ein Zeichen sein, dass er nicht aufgeben sollte.
    Die Tür auf der Fahrerseite ging auf. Der Kriegsherr spähte herein, sein Gesicht hinter der glänzenden Brille ein einziges

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